Wie von selbst fügt sich die Kunst in die Dauerausstellung des Münchner NS-Dokumentationszentrums ein. Sonst – noch heuer unter der neuen Direktorin Mirjam Zadoff – gab es ordentlich abgetrennte Präsentationen. Mit „Tell me about yesterday tomorrow“ ist jedoch ein durchgängiges Gewebe entstanden aus den Fäden der faktischen Information und den Fäden der ästhetischen Überlegung von 40 Künstlern aus aller Herren Länder. Kurator Nicolaus Schafhausen hat sie versammelt. Darunter berühmte Namen wie Rosemarie Trockel, Marcel Odenbach, Gregor Schneider oder gar Emil Nolde; darunter Zeugen der KZ-Morde wie Harald Pickert oder Exilanten wie Else Lasker-Schüler; darunter Nachkommen von Opfern der Verfolgung und Unterdrückung, ob Homosexuelle, Frauen, Afrikaner oder Kurden. Viele Werke nutzen wie die Darstellungen im Dokuzentrum das Mittel der historischen Recherche – drehen diese dann jedoch in eine spezielle Richtung.
Dabei spielen stets folgende Fragen eine Rolle: Was ist erinnertes Wissen, erinnerte Erfahrung? Wie bereite ich sie auf? Wie gut ist dieses Gestern-Konstrukt, um das Morgen zu gestalten? Ken Lum schaut mit seinem Plakat vor dem Gebäude des Zentrums entschlossen fröhlich auf das „Tomorrow“. Herzlich strahlt eine Familie – sichtlich aus unterschiedlichen Erdgegenden – auf den Betrachter herunter. So ermutigt, betritt man das Haus und wird von Rosemarie Trockels „Frankfurter Engel“ begrüßt, gemahnt und hoffentlich beschützt. Diese Replik für München erinnert ihrerseits an den himmlischen, von vielen „Wunden“ gezeichneten Kollegen in Frankfurt, der seinerseits an die ermordeten Homosexuellen erinnert, und natürlich an die Engelsfigur am Kölner Dom. Eine ähnliche Kaskade an Erinnerungen und Assoziationen möchte Kent Monkmans dahinter hängendes Gemälde (Indianer retten Weiße) auslösen, irritiert freilich eher durch handfesten Kitsch.
Dann schon lieber durch Gregor Schneider irritiert werden, der im künstlerischen Furor tatsächlich Joseph Goebbels’ Geburtshaus an der Odenkirchener Straße in Rheydt gekauft hat. Und nun im Gespräch ehrlich zugibt, nicht zu wissen, was damit zu tun ist. Das verbindet ihn mit uns allen, egal ob Experte, Politiker oder Normalo – wie geht man mit Täterorten um? Schneider, der bereits sein Elternhaus abgebaut und auf der Biennale in Venedig 2002 (fast) original im Deutschen Pavillon wieder aufgebaut hat, pflegt eine intensive Beziehung zu manifesten Räumen, die wir automatisch mit Bedeutung aufladen. Er hat das Haus und die Einrichtung der Goebbels-Nachbesitzer samt rassistischer Literatur zu der Installation „Suppe auslöffeln“ verarbeitet. Sie kombiniert ein Büchermobile mit einem Treppengeländerpfosten, der aber eine Kerze ist, und mit einem Computerstick und Filmen, die die Wandlung der Räume vom alten zum neuen Zustand dokumentieren. Herausgekommen ist ein hilfloses Kunstwerk – und deswegen das ehrlichste und wahrhaftigste in der ganzen „Tell me about…“-Schau, was die Nazi-Zeit angeht. Und damit gewinnen Auseinandersetzungen anderer Künstler etwa mit dem Attentat von Halle (Cartoon), bei den Olympischen Spielen 1972 in München und die NSU-Morde in ganz Deutschland eine ganz andere Tiefe.
Spannend für uns Europäer sind insbesondere Fotos, Filme und Installationen (knallige Gebetsteppiche von Baseera Khan und ihre berühmt gewordenen „Muslima“-Sportschuhe) aus anderen Kontinenten, weil wir so zu anderen Perspektiven gezwungen werden. Diese Offen- und Unsicherheit sucht das NS-Dokumentationszentrum – und hängt sich daher eben auch einen Nolde in die Räume: ein Seestück jenes verfemten Malers, der sich bei den Nazis angebiedert hatte.
Bis 30. August 2020,
Di.-So. 10-19 Uhr;
die Installation von Ydessa Hendeles ist in der Kirche St. Bonifaz zu sehen.