Ein morgendliches Treffen mit Helge Schneider im Münchner Vereinsheim. „Willste was trinken?“, fragt der Mann aus Mülheim an der Ruhr, dem man seine Heimat mit jedem „dat“ und „wat“ anhört. Er ist jetzt 64. Es sollte eigentlich das letzte Arbeitsjahr für das Multitalent werden. Doch im Februar startet er die nächste Tour. Und macht am 28., 29. und 30. Mai Halt im Circus Krone (Karten: 089/54 81 81 81). „Denn“, so heißt es im Pressetext, „Helge ist noch ziemlich agil und wird bis circa 90, 95, vielleicht sogar bis über 100 ,Katzeklo‘ singen! Darauf freut er sich schon immer!“ Alles nur Albernheiten? Nicht bei Schneider. Alexander Kluge, Deutschlands großer Intellektueller, empfiehlt ihn gar fürs Bundeskanzleramt.
Kanzler – wäre das was für Sie?
Na ja, das würde ich jetzt nicht sagen. (Bübisches Grinsen. Dass sein Freund Alexander Kluge ihn vorgeschlagen hat, gefällt ihm sichtlich.) Kanzler, das ist ne ganz knifflige Aufgabe. Ich mein, guck mal, der muss ja die Belange von allen Menschen zusammenführen. Ich glaub’, das ist wirklich nicht einfach. Aber ich kann mir vorstellen, was Alexander Kluge damit meint. Er ist ja auch sehr klug. Humor bedeutet außerdem, über sich selbst zu lachen. Wenn man dat nich kann, dann is et ganz schwierig, glaub’ ich.
Ist es schwieriger geworden in einer durch und durch vernetzten Welt, Politik zu betreiben?
Weiß ich nicht, ich bin ja kein Politiker.
Aber Sie beobachten die Politik seit vielen Jahren humoristisch…
Na ja, mehr oder weniger. Ich schnappe was auf, und ganz hanebüchen gebe ich manchmal was dazu ab, was vielleicht gar nix damit zu tun hat. Wo man dann denkt: „Aha, hehe, stimmt, das ist ja so.“ Aber warum das so ist, das sach ich natürlich nicht. Es ist nur ein Fingerzeig auf ein Gefühl, das man hat und das auch die Menschen haben. Wenn de dich mal umhörst, sacht doch jeder: „Ach, lass se doch!“ Diese Gemeinplätze schweben immer im Raum. „Ach, das sind doch Politiker!“ Genau wie Friseure, ne? Da musste gar nicht erst hingehen. (Bemerkt die kurzen Haare seines Gegenübers.)
Ich gehe gern zum Friseur!
Seh’ ich auch gerade. (Grinst.) Was ich mein’, ist: Es gibt so ne bestimmte Negativeinstellung gegen alles, weißte?
Und die scheint schlimmer zu werden.
Ja, das wird hervorgerufen durch das, was auf uns einhämmert über die Handys. Ich merk’ das bei meinen Kindern – dat is echt ne Katas- trophe is dat. Diese neuen Medien bieten die Möglichkeit, sich selbst den ganzen Tach lang darzustellen. Durch diese wahnsinnige Darstellungssucht ist diese Welt voll von absoluten Darstellungsprofis. Und dat is nich der Sinn der Sache.
Doch der Mensch scheint diesen Darstellungsdrang zu haben. Wie hat er das in Zeiten vor Instagram und Facebook ausgelebt?
Es war anders. Früher gab es Städte, da gab es die Stadtmitte, die City. Da traf man sich. Da gab’s Jugendliche an bestimmten Plätzen und so weiter. Heute sind die Städte dazu übergegangen, große Einkaufsmalls zu errichten. Das hat man sich aus den USA abgeguckt. Weil man bei denen gesehen hat: Aha, hier können wir auf billigem Grund bauen und groß Geld verdienen. Und die Preise können wir schön klein halten. Der Effekt ist, dass die Löhne dann auch dementsprechend klein sind und dass die Leute nicht mehr in die Stadt gehen. Die fahren mit ihren Autos in diese Einkaufszentren und verbringen da ganze Tage; laufen rum, essen Eis. Es gibt dort alles, was früher in der City war, aber auf künstlichem Boden, nicht gewachsen. Es kommt natürlich keiner auf die Idee, in so ’ner Mall ne Kneipe aufzumachen, wo jeden Montag Jazz-Session ist. Die Urbanität ist absolut verloren gegangen und findet jetzt in den Handys statt. Das ist ne ganz schlimme Entwicklung.
Können Sie als Vater Ihre Kinder überzeugen, da nicht mitzumachen?
Du kannst es nicht, nein. Du kannst nicht einem Kind sagen, du darfst kein Handy haben, wo alle in der Klasse ein Handy haben. Man hofft immer, dat das denen irgendwann selber auf den Wecker geht. Man bietet ihnen Alternativen an: Musik machen, malen, kreativ sein. Man kauft ein Cello und ein Saxofon. Die stehen dann in der Ecke rum – und die Kinder spielen an den Daddel-Automaten.
Also resignieren?
Nee. Man muss immer wieder Sachen ausgraben, die vielleicht interessant sind für die Jungen. Wenn dat aber so ist, dass die Menschen dazu angehalten werden, nur noch zu funktionieren, haben die gar keine Zeit mehr, sich für ihre Kinder Mühe zu geben. Dazu kommt die Entmündigung des Bürgers durch Gesetze, die zur Moral einer Gesellschaft führen sollen. Alles muss jetzt paritätisch ablaufen, und man darf bestimmte Wörter nicht mehr sagen. Dabei muss das doch von den Leuten selber kommen! Es kommt so viel von außen, dass die Leute unlustig werden!
Und Angst haben.
Genau! Die haben Angst, was Falsches zu sagen. Das ist eine Verklemmung. Die Gesellschaft ist ziemlich verklemmt, und die wird immer verklemmter. Dat is schlimm. Weil Leute sich nicht gerne verklemmen lassen. Und dann undercover schlimme Sachen machen.
Sie sind der Ent-Klemmer. Mit schrägen Sachen wie Ihrem neuen Programm „Die Wiederkehr des blaugrünen Smaragdkäfers“. Was kommt da auf uns zu?
(Schneider grinst zu den Mitarbeitern vom Vereinsheim hinüber, die am Tresen stehen und zuhören. Er fängt laut zu lachen an.) Der blaugrüne Smaragdkäfer? Ich kann ja die CD mal auflegen. Das wär vielleicht am besten. Habt ihr ’n CD-Player? (Im gemächlichen Helge-Schneider-Gang läuft er durch die Kneipe hinter die Bar. Erzählt dabei:) Der Käfer, das ist was, was mir so eingefallen ist. Guck mal: Bienensterben und so was alles, da propagiere ich die Wiederkehr des blaugrünen Smaragdkäfers, der schon mal die Erde beherrscht hat. (Schneider bemerkt, dass es keinen CD-Player gibt. Zu den Männern:) Guckt doch mal nebenan! Die haben doch hier dieses, wie heißt dat hier noch mal? Lustspielhaus. (Ein CD-Player wird gebracht.) Das erste Lied. Leg’ mal auf! (Ganz leise hört man Töne.) Da ist doch schon wat, ne? Gib mir dat Ding doch mal her. Ich hör da was. (Schneider ruckelt an der Anlage.) Da is doch gar keine Batterie drin! (Auf dem Display erscheint „Goodbye“.) Ja, goodbye. Toll. Da muss es doch ne Lautstärkeregelung geben. Das darf doch wohl nicht wahr sein! (Er ruckelt, drückt und dreht. Und auf einmal ertönt: Klavierspiel.) So, läuft dat jetzt? (Ja.) Aha. (Er grinst. Zur Autorin gewandt:) Dann kannste das Lied ja aufnehmen, und dann kannste wat darüber schreiben.
Ja, ich nehm’s grad auf.
Ach so? (Schneider beugt sich über das Diktiergerät und ruft laut:) Wäääähhhhhh! (Gleichzeitig beginnt der Schneider auf der CD zu singen: „Smaragdkäfer, Smaragdkäfer!“ Die Herren am Tresen lachen. Die Autorin lacht. Schneider freut sich.) Das könnten wir an Disney verkaufen. Und einen Trickfilm daraus machen! (Das Lied neigt sich dem Ende zu. Der CD-Schneider singt „Dadadadada“. Der leibhaftige sagt:) Ich mach jetzt aus, ne? Da kommt dann wieder eine, weißte? (Journalistin, meint er, bereit fürs nächste Gespräch. Der Pfefferminztee wurde schon gereicht. Nur eine Frage hat der Befragte selbst zum Schluss. Hm? Grinsend reicht er einem die Hand:) Und das war jetzt für die „Praline“, oder?
Das Gespräch führte Katja Kraft.