Büchner-Bastelei

von Redaktion

PREMIERE „Leonce und Lena“ am Residenztheater

VON ALEXANDER ALTMANN

Wer da jetzt aus dem Lande Popo stammt und wer aus dem Reich Pipi, das lässt sich anfangs kaum sagen. Denn die Rollen der sechs Akteure, die auf der Bühne des Münchner Residenztheaters somnambul herumfuhrwerken, kristallisieren sich erst im Laufe des Abends vage heraus. Es ist schließlich eine ziemlich freie Adaption von Georg Büchners Lustspiel „Leonce und Lena“, die uns der Schweizer Theaterzauberer Thom Luz hier präsentiert. Oder besser gesagt: in die er uns entführt wie in ein rätselhaftes Zwischenreich weit jenseits von Popo und Pipi.

Der große weiße Bühnenraum mit Stuckresten an den fleckigen Wänden könnte ein abgewracktes Museum sein. Ein langer, dürrer Mensch, halb Faktotum, halb Maestro, flattert hier mit wehenden Frackschößen zwischen zwei Klavieren hin und her, um, mal da, mal dort, eine Melodie anzuschlagen, die sich allmählich als Strauß-Walzer entpuppt. Dann bricht ein Gewitter los, Donner grollt, Regen rauscht, rechts am Fenster erheischt ein Grüppchen von Leuten Einlass, und triefend klettern sie ins Zimmer: die Damen mit gespreizten Zeitlupenbewegungen, die Herren in Operetten-Uniformen voller Orden und Schärpen. Ein Schuh wird durch den Raum geworfen, hinten spielt eine schöne Frau am Klavier mechanisch immer wieder die gleichen Gassenhauer, aber wenn sie aufhört, muss man eine Münze einwerfen, und schon klimpert sie weiter.

Agieren hier also Automatenmenschen, mechanische Puppen, wie sie bei Büchner in einer Szene ja tatsächlich vorkommen? Oder sind es vielleicht doch eher Patienten in einer Irrenanstalt, was schon deshalb passen würde, weil der Autor die fürstlichen Herrschaften in seinem Stück eben als durchgeknallte Mischpoke karikiert? Aber natürlich trägt alles, was man da sieht, auch deutliche Züge einer Traumszenerie und kommt einem betörend unwirklich vor.

Ganz leichter Nebel liegt in der Luft und breitet sich bis in den Zuschauerraum aus, doch ehe die Stimmung zu deutlich ins Jenseitige kippt, gibt es immer wieder valentineske Momente: Fast fühlt man sich an den „Reparierten Scheinwerfer“ erinnert, wenn da eine riesige Leiter angeschleppt und von der armen Pianistin in Stöckelschuhen erklommen wird, um eine Neonröhre auszuwechseln, während zwei Männer unten stehen und ihr gute Ratschläge geben. Zwischendurch fällt das Licht auch mal ganz aus, sodass bei hochromantischem Kerzenschein Klavier gespielt werden muss. Eine Schuhputzmaschine surrt los, deren Borsten einer Geige Töne abtrotzen, und plötzlich wird auch noch überraschend viel Büchner-Text gesprochen, ganz originalgetreu.

Kurzum, was man hier erlebt, ist eine betörende, surreale Collage aus Worten, Gesten, Bildern und Musik; ein hinreißend versponnener Abend voll zart flirrender Komik und entrückter Wehmut. Dass Thom Luz’ poetisch schwebende Büchner-Bastelei dabei virtuos zwischen Un- und Tiefsinn balanciert, liegt natürlich auch an den zu Herzen gehenden Hits von Mozart bis Millöcker, die diese Inszenierung atmosphärisch tragen.

Da hat uns Intendant Andreas Beck quasi als Vorweihnachtsgeschenk also endlich mal eine echte Delikatesse mitgebracht aus Basel, wo die Aufführung vor zwei Jahren herauskam. Dass sie in München jetzt mit Jubel und Buhs begrüßt wurde, spricht in diesem Fall für ihre Qualität.

Weitere Aufführungen

am 14. Dezember sowie am 10. und 13. Januar; Karten unter Telefon 089/2185-1940.

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