Eine Wienerin erzählt die Wiesn

von Redaktion

Die Autorin Stefanie Sargnagel schrieb fürs Volkstheater übers Oktoberfest

VON ULRIKE FRICK

Nein, natürlich heißt sie nicht wirklich Sargnagel. Aber seitdem Stefanie Sprengnagel vor knapp 15 Jahren unter eine ihrer Zeichnungen „Sargnagel“ schrieb, blieb der Künstlername hängen. Den Nagel auf den Kopf getroffen oder einen ebensolchen in den Sarg geschlagen – wie auch immer, die kürzlich erst 34 Jahre alt gewordene Wienerin trifft jedes Mal.

Verbal, versteht sich. Mit humoristischen Facebook-Posts, die sich anfangs vorwiegend um Alltagsbeobachtungen und ihren Job in einem Callcenter drehten, wurde die Kunststudentin bekannt. Ihre Cartoons und kurzen Texte wurden so beliebt, dass sie bald auch gedruckt herauskamen: 2013 erschien mit „Binge Living: Callcenter Monologe“ ihre erste Textsammlung in Buchform, 2015 folgte „Fitness“. Ihre „Statusmeldungen“ von 2017 veröffentlichte erstmals ein großer Verlag.

Dieses Debüt bei Rowohlt widmete Sargnagel, die momentan an einem Romanprojekt arbeitet, der feministischen Burschenschaft „Hysteria“. Das Bündnis mit der zähnefletschenden Hyäne im Wappen sorgte mit gewitzten Aktionen zwischen Kunst und politischem Aktivismus in jüngster Zeit in Österreich gehörig für Aufregung: Denn die Mädels stellen mit ihren Auftritten, Märschen und Demonstrationen das revanchistische Gedankengut und die überkommenen Rituale der reaktionären Parteien und Männerbünde bloß.

Mit ihren Schwestern im Geiste fordert Sargnagel etwa eine Frauen- und Transgenderquote von 80 Prozent in öffentlichen Ämtern oder eine Einschränkung des Männerwahlrechts. Kurzum: das uneingeschränkte Matriarchat. Kennzeichen der Hysteria ist unter anderem der „rote Deckel“, und auch bei Auftritten ohne die Burschenschaft verzichtet Stefanie Sargnagel nicht auf ihre rote Mütze. Dazu meistens ein weißer Kragen am schwarzen Kleid – fertig ist die öffentliche Frau Sargnagel. „Der rote Hut und der Kragen sind schon eine Art Markenzeichen geworden. Die Menschen erkennen einen aber meistens nur in einem bestimmten Kontext.“ Sobald sie die Erkennungszeichen einmal wegließ, wie kürzlich beim Akademikerball in der Wiener Hofburg, einem Treffen der Rechtsextremen aus ganz Europa, konnte sie sich, wie alle anderen Frauen im Abendkleid, den Abend über ungehindert bewegen. „Und das, obwohl ich Angriffen von rechts sonst schon ziemlich oft ausgesetzt bin.“

Die rote Baskenmütze funktioniert für Sargnagel quasi „als umgekehrte Tarnkappe“. Für die Recherche zu ihrem Theaterstück „Am Wiesnrand“, das morgen im Münchner Volkstheater uraufgeführt wird, war sie logischerweise ohne Kopfbedeckung und inkognito auf dem Oktoberfest 2019 unterwegs. „Ich empfinde Massenveranstaltungen als sehr inspirierend. Je mehr um einen herum los ist, umso besser“, sagt Sargnagel. „Auf der Wiesn war ich bis dahin erst einmal nach einer Lesung in München. Leider nur eine halbe Stunde, dann haben die Zelte zugesperrt. Aber angefixt war ich schon und sicher, dass mir das sehr, sehr gut gefallen könnte.“

Mehr als eine Woche lang recherchierte die grundsätzlich trinkfreudige und -feste Österreicherin für ihre Auftragsarbeit auf dem Volksfest – fast ganz ohne mitzufeiern. „Schließlich wollte ich so viel wie möglich mitbekommen und alles um mich herum genau beobachten. Das funktioniert nüchtern einfach besser“, erklärt Sargnagel die selbst gewählte Abstinenz. „Am meisten hat mich fasziniert, dass man Leuten aus dem klassischen Bürgertum beim kompletten Eskalieren zusehen kann. Dazu hat man im Alltag nie die Gelegenheit.“ Berauschte Massen, die laut grölend auf den Bänken stehen. Männer und Frauen mit Tracht, aber ohne Hemmungen. „Ich habe noch nie so viele Menschen gesehen, die ansonsten im mittleren Management beschäftigt sind und dort im Zelt durch ihre eigene Kotze kriechen“, erinnert sich Sargnagel mit wohligem Schaudern.

„Man lässt schnell jede Maske fallen“, fasst die Künstlerin zusammen. „Daher erfährt man auf dem Oktoberfest auch sehr viel mehr als sonst.“ Meistens hat sich Sargnagel allein unters Volk gemischt und gelauscht. „Es gibt auch in Österreich Volksfeste. Aber derartig viele Betrunkene habe ich noch nie erlebt. So viele Beziehungsstreits, so viele Prügeleien. So viele weinende Menschen oder Unbekannte, die sich vor einem ausziehen oder Dinge ausscheiden. Man sieht die Menschen in einem seltsam verwundbaren Zustand. Bei einem Kampf, den sie gegen sich selbst führen.“

Aus diesen Eindrücken hat sie ihr Drama verdichtet. „Es geht schon auch um anderes, um die Suche nach der Liebe zum Beispiel“, gibt Sargnagel preis. Denn eigentlich will sie vor der Uraufführung nichts vom Inhalt verraten. Das Tragikomische liegt ihr sehr am Herzen. Daher werde es „viel zu lachen geben über Dinge, über die man eigentlich weinen könnte“. Vor allem sei „Am Wiesnrand“ eine Revue übers Oktoberfest, „ein Rausch in Bildern, ein Feuerwerk mit Musik“, verrät sie. Die großartige Austroband Euroteuro, irgendwo zwischen Elektropop und Postpunk anzusiedeln, steuert den Soundtrack zu dem bunten Spektakel bei.

Die Uraufführung

von Stefanie Sargnagels „Am Wiesnrand“ ist morgen, 19.30 Uhr, im Münchner Volkstheater; der Abend ist ausverkauft. Karten für weitere Vorstellungen unter 089/523 46 55.

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