Das große Rätsel

von Redaktion

Provenienzforschung und Programm des Münchner Museums Fünf Kontinente

VON SIMONE DATTENBERGER

„Wir sind dankbar, dass wir auf Professor Gouaffo bauen können“, sagte Uta Werlich, Direktorin des Münchner Museums Fünf Kontinente, gestern bei der Jahrespressekonferenz. Der Erleichterungsseufzer bezieht sich auf die Mitarbeit des Germanistik-Profs Albert Gouaffo von der Kameruner Université de Dschang, der zugleich Mitglied im Förderbeirat „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste ist. Der Seufzer bezieht sich aber auch darauf, dass das Provenienzforschungsprojekt „Der ,Blaue-Reiter-Pfosten‘ und die Sammlung Max von Stettens (1893-1896) aus Kamerun“ von jenem Zentrum für ein Jahr finanziert wird – mit der Option auf ein weiteres.

Die Projektleiterin hier am Museum, Karin Guggeis, erklärte die Auswahlkriterien für genau dieses Konvolut aus den vielen Sammlungen des Hauses an der Maximilianstraße. Die meisten von ihnen müssen nach möglicher Raubkunst-Herkunft – Stichwort: Kolonialismus – untersucht werden. Die Diskussion mit den Herkunftsländern ist jetzt virulent, also besteht Hoffnung, dass die Politiker Geld locker machen für Recherche und Analyse. Denn schnell kann das auf keinen Fall gehen. Guggeis entschied sich folglich nach Dringlichkeit.

Sammler Stetten passt ins „Täter“-Schema; er war erst bei der Polizei im besetzten Land, dann in der „Schutztruppe“. Eine Reliquiarfigur ist eindeutig Raubkunst; die anderen Artefakte sind jedoch noch nicht zuordenbar. Insbesondere der sogenannte Blaue-Reiter-Pfosten sei ein großes Geheimnis. „Man weiß gar nichts über ihn.“ Weil Wassily Kandinsky ein Foto von ihm in den Almanach „Der Blaue Reiter“ aufnahm, hat das Werk „Lokalgeschichte“ und „internationale Kunstgeschichte“ geschrieben. Von Kamerun aus gesehen, steht das Relief für die vielen kleinen Ethnien, die alle ihre eigene Kultur ausgebildet hatten – und die „kaum erforscht“ sind.

Gouaffo ist der Koordinator in Kamerun, der dort mit Kollegen sowie mit Aufnahmen und Informationen Menschen aus den Herkunftsgemeinschaften aufsuchen wird. Ihr Wissen, ihre Erinnerungen und spirituellen Empfindungen sollen helfen, ein klareres Bild von den 200 Objekten zu schaffen. Ihm geht es nicht so sehr um museale Provenienzforschung. Der Kulturwissenschaftler strebt eine weit gefasste „Rückkopplung der Länder Kamerun und Deutschland hinsichtlich der Kolonialgeschichte“ an. Die sakralen Werke müssten „neu verortetet werden“. Das sei „eine Goldmine für uns, was die Diskussion über unsere Identität angeht“. Gerade weil in Kamerun Historie mündlich vermittelt wird und daher schnell verweht, sorgen Gegenstände als Träger von Denkstrukturen für Dauer und Kontinuität.

Uta Werlich konnte darüber hinaus anderes Erfreuliches vermelden. Gute Besucherzahlen (2019 knapp 90 000) und neue Führungsformate, etwa per Dialog: Schon morgen, 16 Uhr, kann man mit Paul Assako von den Universitäten Jaunde und Douala sowie Stefan Eisenhofer, Kurator der Abteilung Afrika südlich der Sahara, die Kameruner Perspektive auf das Museum erleben. Und die Ausstellungen: Noch laufen „Der Frieden trägt den Namen einer Frau – Kolumbien im Wandel“ (bis 29. März) und „Collecting Japan – Philipp Franz von Siebolds Vision vom Fernen Osten“ (bis 26. April). Und schon können sich die Besucher auf fernste Fernen freuen. Am 29. Mai startet „Tikimania – Bernd Zimmer, die Marquesas-Inseln und der europäische Traum von der Südsee“. Die Schau beweist die Nähe von Kunst über Zeiten und Räume hinweg, selbst wenn es Missverständnisse gibt. Ähnlich faszinierend ist „Inspiriert vom Land – Rindenmalereien aus Arnhem Land, Nordaustralien“ (ab 24. November), mit der die Aborigines schon ab 1950 um Verständnis für ihre Kultur kämpften – und um ihr Land.

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