Alle Jubeljahre kommt so etwas vor. Eine Stimme, die nicht von der Stange ist. Viril, markant, mit Hinhörzwang und hohem Erz-Anteil, ein Klang gewordener Don Giovanni mit Wotan-Vorahnung. Von der Timbre-Qualität her agiert Andrè Schuen, 36-jähriger Bariton aus Südtirol, schon jetzt in einer Liga mit Gerald Finley oder Bryn Terfel.
Das Lied bleibt für ihn, der auf der Opernbühne vor allem für Mozart gefragt ist, eher Stand- statt Spielbein. Noch hat Schuen keinen Star-Status, so dachte sich das wohl der Veranstalter. Also kam es im Prinzregententheater nicht zu einer seiner aufregenden Liszt-Befragungen, sondern zum kassenträchtigen Hit, zu Franz Schuberts „Winterreise“. Trotz aller Dunkelwerte, trotz Macho-Sound und heldischer Grundierung: Schuen deutet den Zyklus weder als verzagte Jenseitsnähe noch als wütendes letztes Aufbäumen. Immer wieder erobert er sich zwar mit kraftvollen Passagen Raum. Doch hört man insgesamt eher das Staunen über ein Schicksal heraus, dass da gerade dem lyrischen Ich widerfährt.
Schuens Plus: Keines der 24 Lieder wirkt überinterpretiert. Ein genaues Nachzeichnen der Klangverläufe ist das, weniger dozierende Reflexion. Dieser Solist weiß trotz aller Uneitelkeit in der Interpretation, dass er über frappierende vokale Mittel verfügt. Über eine schöne Stimme, über einen makellosen Tonansatz, über eine in jeder Intervallspreizung präzise Intonation, auch über eine musterhafte Legato-Kultur – man höre nur die unverspannte Mezzavoce in „Gefrorene Tränen“ oder „Die Nebensonnen“.
Was noch fehlt: Helleres zuzulassen, mehr Farben, einen erzählerischen Gestus, der auch das Kleinteilige, am Sprechduktus Orientierte bedient. Fast in jedem „Winterreisen“-Lied kommt es ja zu solchen Momenten, zu einem Umschlag, in der Zärtelndes bis Zerbrechliches, manchmal sogar Zynisches gefragt ist. Schuen bleibt da, man denke nur an den „Frühlingstraum“ oder an „Letzte Hoffnung“, bislang in Ansätzen stecken.
Ein weiteres Problem ist, dass viele Tempi – teilweise provoziert durch den (sehr) dezenten Pianisten Daniel Heide – durchhängen. Vielleicht war’s die Nervosität: Gegen Ende, vor allem im bestechend gedeuteten „Wirtshaus“, wird Schuen freier, variabler im Ausdruck. Auch aus diesem Grund bedauert man, dass der bejubelte Abend schon nach 80 Minuten vorbei ist.