Typisch untypisch

von Redaktion

Louis Sclavis in der Münchner Unterfahrt

VON REINHOLD UNGER

Das Gewöhnliche ist für Louis Sclavis eher ungewöhnlich. Der französische Holzbläser mit Schwerpunkt Bassklarinette hat in den vier Jahrzehnten, in denen er sich den Rang einer Symbolfigur der europäischen Jazz-Emanzipation erspielt hat, unzählige Gruppen geleitet und Projekte initiiert – ein Quartett mit klassischer Rhythmusgruppe war nicht dabei. Nun aber präsentierte sich der 67-Jährige in der Münchner Unterfahrt umgeben von Klavier, Kontrabass und Schlagzeug – und bewies, dass auch sein Umgang mit dem scheinbar Konventionellen eher untypisch ist. Typisch Sclavis eben.

Sclavis’ Musik ist eine der schillernden Nuancen, die sich aus einer Haltung ergibt, die man dezidierte Unentschiedenheit nennen könnte: Der Grundgestus ist eher lyrisch, fast kammermusikalisch im Klangideal, aber es schimmert auch noch Sclavis’ eigene Sozialisation im freien Jazz der Siebzigerjahre durch. Das in den USA entworfene Regelwerk kennt man wohl, die eigene Tradition von Rameau bis Ravel ist aber mindestens so wichtig. Das ergibt eine enorme dynamische Amplitude, melancholische Stimmungen wandeln sich zu euphorischen, Subtilität und Drive pendeln sich aus. Dabei ist es nicht selten die junge Bassistin Sarah Murcia, die mit enormer klanglicher Präsenz und kraftvollen Figuren mit Steuerungsfunktion die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die beiden freien Dialoge, in die sie erst Pianist Benjamin Moussay, dann Schlagzeuger Christophe Lavergne verwickelt, zählen zu den Höhepunkten des Konzerts. Der Leader nutzt die Freiräume der eigenen Kompositionen für improvisatorische Höhenflüge, stellt seine Virtuosität aber immer in den Dienst dieser fein strukturierten, vitalen, beseelten Musik: ein echter Sclavis eben.

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