Berührend und verstörend

von Redaktion

Die Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ hat ihre Dauerausstellung überarbeitet

VON SABINE DULTZ

Es ist nicht lange her: 2018 erscheint die Graphic Novel „Wannsee“ des Franzosen Fabrice Le Hénanff. Am Ende dieser Ausstellung befindet sich dieses Buch, das seit vergangenem Herbst auch auf Deutsch vorliegt. Die Teilnehmer der Wannsee-Konferenz, die am 20. Januar 1942 die „Endlösung der Judenfrage“ auf den Weg gebracht haben, sind in diesem Comic nach historischen Fotos gezeichnet und erscheinen daher nah an der Realität. Einer Realität, mit der die Besucher der Villa auf eine so didaktische wie auch tief berührende und verstörende Weise konfrontiert werden.

Mit der Graphic Novel ist man in der Gegenwart angekommen: Wachsam zu bleiben, mutig zu sein, einzuschreiten – das ließe sich als Botschaft mitnehmen von dieser Ausstellung, die sich in überarbeitetem Konzept und neuem Gewand präsentiert. Titel der hervorragenden Schau: „Die Besprechung am Wannsee und der Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden“.

Was hat es mit der Villa in so lieblicher Berliner Wasserlandschaft, direkt gegenüber des berühmten Strandbads Wannsee auf sich? Sie wurde um 1916 für Ernst Marlier gebaut. Inflationsbedingt veräußerte der windige Unternehmer 1921 das Anwesen an Friedrich Minoux. Auch er eine zwielichtige Figur, die schon 1923 die NSDAP finanzierte, aber am Ende darüber stolperte, dass sie ihre Aufsichtsratsmandate bei diversen Wirtschaftsbetrieben der Stadt für Scheingeschäfte missbraucht hatte. Der Mann ging ins Gefängnis, die Villa wurde verkauft und war von 1941 bis 1945 Gästehaus für Polizei und SS.

Durch die Wannsee-Konferenz erlangte sie dauerhafte, traurige Bekanntheit. Nach Kriegsende diente das Haus als Unterkunft der Alliierten, ab 1947 als sozialdemokratische Bildungsstätte und von 1952 bis 1988 als Schullandheim des Bezirks Neukölln. Seit 1992 ist die Villa trotz erheblicher Widerstände des damaligen Senats Gedenk- und Bildungsstätte.

„Damit viele Menschen einen Zugang finden, haben wir uns entschieden, eine Ausstellung im ,Design für alle‘ zu gestalten. Dadurch sind unterschiedliche Ebenen entstanden: Viele Inhalte werden digital präsentiert“, erklären die Ausstellungsmacher um Hans-Christian Jasch. In einem sich gut ergänzenden Wechsel von Texten, Fotos, Tonaufnahmen, von personenbezogenen Angaben, geografischer Verdeutlichung und Opferzahlen wird das Grauen der bürokratisch geplanten und verwaltungstechnisch perfekt organisierten Ermordung der Juden Europas nachgezeichnet.

Da wird der Besucher konfrontiert mit einem Foto, das Richard Stern am 1. April 1933 vor seinem Geschäft zeigt: an seiner Brust das Eiserne Kreuz, Auszeichnung aus dem Ersten Weltkrieg. Ein paar Räume weiter: der hingeschmierte Zettel an die Polizei, auf dem eine Lotte Blumenfeld eine bei der Nachbarin untergetauchte Jüdin denunziert. Wohin die NSDAP Deutschland führen wird, ist bereits einem Flugblatt vom 24. Februar 1920 zu entnehmen. Da heißt es: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“ Als die Nazis 1933 an die Macht kommen, erlassen sie im April das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das „Nicht-Arier“ aus dem öffentlichen Dienst ausschließt. Im November 1938 kündigt Göring die endgültige „Arisierung der deutschen Wirtschaft“ an und beauftragt Reinhard Heydrich, die erzwungene Auswanderung der Juden zu organisieren. Mit Kriegsbeginn erfolgen in Polen die ersten Massenmorde. Das Regime plant millionenfache Umsiedlungen, um den „deutschen Lebensraum“ zu erweitern. Die jüdische Bevölkerung soll in lebensfeindliche Gebiete deportiert werden. Zunächst sperrt man sie in Ghettos, um sie von dort aus zu verschleppen und zu töten.

Mit dem Überfall auf die Sowjetunion wird der Massenmord offiziell legitimiert. Die Mordkommandos beginnen, sämtliche Jüdinnen und Juden zu erschießen. Sie gelten als mögliche Partisanen, „überflüssige Esser“, „Seuchenträger“. Aber wie erzielt man dabei größtmögliche Effektivität?

Um diese Frage zu beantworten, treffen sich auf Einladung Heydrichs am 20. Januar 1942 die Spitzen von Partei, Staat, Gestapo, Sicherheitsdienst und SS, um „eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet vorzubereiten“ und einen „Gesamtentwurf“ für die „angestrebte Endlösung“ vorzulegen. 15 Personen entwickeln das Konzept.

Das von Adolf Eichmann angefertigte Protokoll der Sitzung, die am späten Vormittag stattfindet und mit einem Frühstück gekrönt wird, ist Seite für Seite in der Ausstellung zu besichtigen. Es hat lediglich 30 Ausfertigungen gegeben, von denen nach 1945 nur eine gefunden wird. Sie bildet den Mittelpunkt der Schau. Darin Sätze wie: „Das Aufgabenziel war, auf legale Weise den deutschen Lebensraum von Juden zu säubern. Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Judenfrage kommen rund 11 Millionen Juden in Betracht, die sich wie folgt auf die einzelnen Länder verteilen.“ Vom „Altreich“ bis „Weißrussland“ werden 34 Staaten aufgeführt, darunter auch die Schweiz. Begriffe wie „Evakuierung“ oder „entsprechend behandelt“ stehen dabei für Ermordung. Dazu gehört das Experimentieren mit effektiven Tötungsanlagen, das zur Vergasungsmaschinerie in den Konzentrationslagern führt.

Natürlich dürfen in der Schau nicht die Strafverfolgung beziehungsweise Nicht-Strafverfolgung nach 1945 fehlen. Einige Männer werden vor Gericht gestellt, aber nicht alle. Und es dauert nicht lange, bis sich die braune Brut wieder aus der Deckung wagt. Für den jüdischen Widerstandskämpfer und Historiker Joseph Wulf, der Auschwitz überlebt hat und sich für die Dokumentation der NS-Verbrechen einsetzt, Grund genug, am 2. August 1974 an seinen Sohn zu schreiben: „Du kannst dich bei den Deutschen totdokumentieren, es kann in Bonn die demokratischste Regierung sein – und die Massenmörder gehen frei herum, haben ihr Häuschen und züchten Blumen.“ Am 10. Oktober 1974 nimmt Wulf sich das Leben. Im Haus der Wannsee-Konferenz befindet sich in der oberen Etage die Bibliothek. Sie trägt seinen Namen.

Haus der Wannsee-Konferenz

Am Großen Wannsee 56-58, geöffnet täglich 10-18 Uhr, Eintritt frei, www.ghwk.de; Telefon 030/80 50 01 0.

Artikel 2 von 9