Sein neues Programm heißt „Ein neuer Mensch“. In einem Mix aus Ein-Mann-Drama und Stand-up-Comedy ergründet Hosea Ratschiller darin die Frage nach der Ordnung. Morgen hat der 38-jährige Kabarettist damit seine Deutschlandpremiere in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Wir sprachen vorab mit dem Österreicher.
Sie haben das Vorwort zum aktuellen Programm der Lach- und Schießgesellschaft geschrieben und kritisieren darin den Satz: „Es war ja nur ein Witz.“ Warum?
Mir gefällt dieses „nur“ nicht. Ein Witz ist ganz schön viel. Die Entschuldigung „Hab’ dich nicht so, es war ja nur ein Witz“ tut so, als würden Leute, die Witze machen, sich dabei nichts überlegen. Und das stimmt nicht. Da wehre ich mich als Freund der Satire mit Händen und Füßen dagegen. Zusätzlich ist dieses „nur“ die feigste und fadeste Art, mit Kritik an einem Witz umzugehen.
Witze sind ja nicht gleich Witze. Wodurch unterscheidet sich ein guter von einem schlechten Kabarettisten?
Boah, jetzt werden aber schwere Geschütze aufgefahren! Es gibt natürlich eine ganze Reihe von belastbaren Kriterien für guten Humor. Grundsätzlich ist lustig immer günstig. Und das Nach-unten-Treten ist mir unsympathisch.
Was meinen Sie damit? Ich habe oft das Gefühl, dass Kabarettisten eher gerne gegen „die da oben treten“.
Wie sagt Kollege Alex Liegl? Oben ist auch nur unten, aber halt von oben. Ich halte mich an die schöne Formel: Es soll um die Anwesenden gehen, nicht um die Abwesenden. Wenn man über die Leute redet, die im Saal sitzen, also quasi „über uns“, ist das wesentlich lohnender, als wenn man über „die Anderen“ redet, die gerade nicht da sind. Und riskanter ist es auch. Ich mag das, wenn auf der Bühne Risiko eingegangen wird. Das hat was Liebevolles, wenn man nicht auf Nummer sicher geht.
Wie würden Sie Ihr Publikum beschreiben?
Meine Zuschauer sind hochintelligente, wunderschöne Menschen, die mit offenen Augen durchs Leben gehen und sich wünschen, dass es allen anderen auch so gut ginge wie ihnen selber. Sie sind nahezu perfekt und sehr sensibel. Mit denen kannst du keinen Feldzug führen.
Ihr Programm „Ein neuer Mensch“ versteht sich als Ein-Personen-Stück. Das ist bei österreichischen Kabarettisten sehr beliebt. Warum?
In Österreich hat sich seit Lukas Resetarits und Josef Hader eine Bühnenfigur entwickelt, die sich vom feuilletonistischen, leitartikelhaften Rechthaberei-Kabarett emanzipiert. Da steht dann eine Figur, die macht eine Entwicklung durch, und am Ende des Abends ist nicht mehr alles so, wie es vorher war. Man geht nicht ins Kabarett, um etwas zu lernen, sondern eher um Überzeugungen loslassen zu können. Das finde ich künstlerisch sehr reizvoll. Neben dieser theatralen Form bin ich fasziniert und geprägt von der sprachlichen Dichte, die hochwertige Stand-up-Comedy in den USA und in England bewerkstelligt. Diese beiden Welten versuche ich, auf der Bühne zu vereinen.
Ist der Titel „Ein neuer Mensch“ eine Forderung oder eine Analyse des Bestehenden?
Genau darum geht es. Im 20. Jahrhundert war das ja das Vorhaben von diversen Projekten, einen neuen Menschen hervorzubringen. Von Linksaußen bis Rechtsaußen. Das Stück stellt die Frage: Wo ist dieses Projekt im 21. Jahrhundert? Was ist davon übrig? Gibt es überhaupt ein Projekt? Meine Figur bemerkt durch alltägliche Beobachtungen, dass sie eigentlich politisch sein müsste, weiß aber nicht, wie.
Welche Vorstellungen eines neuen Menschen haben Sie da im Kopf?
Es ist nicht so theoretisch, wie es gerade geklungen hat. Konkret beginnt das Stück damit, dass ein Vater das erste Mal zu seiner Tochter sagt: Räum’ dein Zimmer auf! Und die reagiert nicht, weil sie ja bemerkt, wie es bei ihm im Zimmer ausschaut. Ich nenne das den Greta-Thunberg-Effekt. Die Großen leben keine tragfähige Ordnung vor. Die Kleinen machen das Scheitern offensichtlich. Und dann fragt man sich: Woran scheitert das Herstellen von Ordnung? Denn das ist ja immer die Aufgabe von Autorität: Ordnung zu schaffen. Im Stück wird über Alltagsgeschichten dekliniert, was mit der Ordnung los ist. Warum wählt ein Mensch freiwillig sein Sozialsystem ab? Sind das nur Neidreflexe? Oder war der Sozialstaat immer schon auch ein Herrschaftsinstrument? Das klingt jetzt sehr abstrakt. In Wahrheit ist es ein anekdotenhaftes Durchspielen von Alltagssituationen am unteren Rand dessen, was man die Mittelschicht nennt. Also genau dort, wo die Angst zuhause ist.
Das Gespräch führte Katrin Hildebrand.
Deutschland-Premiere
von „Ein neuer Mensch“ ist morgen um 20 Uhr in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Hosea Ratschiller spielt hier auch am 19. Februar, 20 Uhr; Telefon 089/39 19 97.