Das Glück ist eine so fragile und wacklige Angelegenheit wie das filigrane Holzschifflein, das die beiden Buben übers Wasser schippern lassen. Sobald einer etwas mehr planscht im Bassin auf der Bühne des Münchner Residenztheaters, gerät das ferngesteuerte Boot ins Schlingern und droht umzukippen.
Es ist ein poetischer, verspielter Auftakt, den Karin Henkel da für ihre „Medea“ nach Euripides eingerichtet hat. Ein Auftakt, bei dem die Kinder plappernd von der Vorgeschichte der Tragödie berichten: wie ihr Vater, der Grieche Jason, und ihre Mutter, Medea aus Kolchis, sich kennenlernten, wie sie für ihn die Drecksarbeit – Raub des Goldenen Vlieses, Ermordung des eigenen Bruders und so weiter – erledigte und wie die Familie schließlich in Korinth gelandet ist, auf Zuflucht bei König Kreon hoffend. Vor allem aber ist es ein starker, ein spannender Auftakt – und das ist sein Problem. Denn was folgt, reicht nicht an ihn heran.
Am Sonntag war die krankheitsbedingt um zwei Tage verschobene Premiere von Henkels Interpretation des Medea-Mythos, die von Euripides’ 431 v. Chr. uraufgeführtem Drama ausgeht. In dem knapp zweieinhalb Stunden langen Abend (eine Pause) geht es der Regisseurin vor allem um die Frage nach der Befreiung. Henkel liest „Medea“ als Emanzipationsgeschichte. Der Mord an der Nebenbuhlerin, deren Vater und den eigenen Kindern sind hier Stationen, um Autonomie (zurück-) zu gewinnen. „Das endlose Lied von der schwachen Frau hat nun ein Ende“, skandiert der Mädchenchor, als sich die Titelfigur zur Tat entschließt. All das ist ein bedenkenswerter Ansatz – allein: So schlicht, brav und eindeutig wie in dieser Inszenierung war der Kampf um weibliche Selbstbestimmung nie.
Dabei ist die Bühne eindrucksvoll bereitet. Unterstützt von einigen konzentrisch gehängten Neonröhren hat der Licht- und Videodesigner Thilo Reuther einen Raum geschaffen, der sich in die Tiefe verengt. Laserprojektionen, die immer wieder aufgeblendet werden, verstärken den Eindruck, dass alles auf ein kleines schwarzes Rechteck zustrudelt. Die Menschlein – sie sind hineingeworfen in dieses Nichts, das keinen Halt kennt. Nicht einmal der Mädchenchor, der in schwarz-weißen Schuluniformen mit Fähnlein wie Fluglotsen auftritt, kann noch Orientierung bieten: Binnen Sekunden wechselt die Richtung, die hier von den Kindern vorgegeben wird.
Das sind starke Bilder. Bilder, gegen die Inszenierung und Darsteller kaum ankommen. Das Ensemble agiert erstaunlich leb- und emotionslos angesichts der Geschichte, die da verhandelt wird. Das gilt vor allem für Carolin Conrad in der Titelrolle. Medeas Verletztheit, ihre Verzweiflung, ihr Zorn, ihr Furor – alles bleibt hier Behauptung. Auch Aurel Manthei, der unter der Intendanz von Martin Kušej oft bewiesen hat, dass er mehrschichtige Charaktere gestalten kann, klammert sich als Jason an ein paar Ausreden.
Ein Durchdringen der Beziehung zwischen den beiden Figuren findet nicht statt – Karin Henkel stellt Medea und Jason aus. Pappkameraden genügen aber nicht, um die Wucht des Mythos und die Fragen, die er aufwirft, zu fassen. Da bleibt der Abend im Seichten und reicht kaum tiefer als das Wasser im Becken, das die Bühne teilt.
Zudem hat eine wirkliche Arbeit am Text kaum stattgefunden. Mit zwei Abweichlern: Michael Goldberg, der Kreon als Abziehbild eines Bürokraten der Macht zeichnet, hat einen Zugang zu Euripides gefunden. Vor allem aber ist es Nicola Mastroberardino, der als Amme zeigt, was hier sprachlich möglich gewesen wäre, welche Nuancen und Schattierungen die Vorlage bietet.
Mastroberardino ist die überzeugende Ausnahme in einer Inszenierung, die mit dem groben Pinsel malt, wo differenziertes Zeichnen packender wäre. Doch Henkel suchte ihr Heil im Holzschnitt: Da wird in einer Welt der Schwarz-Weiß-Klamotten Medea im neongelben Kleid als Fremde gekennzeichnet, damit diesen Umstand auch ja keiner übersieht (Kostüme: Teresa Vergho). Oder die Ausgestoßene kündigt dem Publikum mit einem schnoddrigen „So, ihr Lieben. Nun steht es fest: Auf der Stelle töte ich meine Kinder“ den Mord am Nachwuchs an. Das wiederholt sie – doch was wohl verzweifeltes Selbstbewusstsein beweisen soll, bleibt selbst in diesem Augenblick eine fade Aussage. Nein, so harmlos, wie diese Inszenierung weismachen will, ist „Medea“ wirklich nicht.
Heftiger und herzlicher Applaus. Jubel.
Nächste Vorstellungen
am 8., 11. und 31. März; Telefon 089/21 85 19 40.