Thomas Adès sorgte schon früh für Furore: als Pianist, Dirigent und vor allem als Komponist. Mit 18 Jahren legte er sein erstes Werk vor. Ein Jahr später machte ihn sein offizielles Opus 1 „Five Eliot Landscapes“ für Sopran und Klavier bekannt – erst in seiner Heimat London, dann schnell international. Heute ist der 48-Jährige der bekannteste britische Komponist seit Benjamin Britten. Er fühlt sich in vielen Genres wohl – vom Lied über die Kammermusik bis hin zur Oper. Heute und morgen gastiert er erstmals beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Im Herkulessaal wird unter anderem sein neues Werk „Concerto for Piano and Orchestra“ gespielt. Am Samstag gibt er mit Pianist Kirill Gerstein eine Meisterklasse und ein Clubkonzert im Münchner Werksviertel.
Dies ist Ihr Debüt beim BR. Wie waren die ersten Proben?
Ich liebe es, wirklich gemeinsam mit einem Orchester Musik zu erarbeiten. Alles andere wäre mit so einem großartigen Ensemble auch wirklich lächerlich. Lustigerweise hatten wir an meiner Musik am wenigsten zu arbeiten. Ich weiß nicht, warum. Die Musiker haben sie einfach sehr schnell begriffen. Bei Janáček war es etwas aufwendiger. Seine Musik ist nicht so praxisbezogen. Er hat nie in einem Orchester professionell gespielt, war eher Chorleiter und Musiklehrer. Insofern braucht es da mehr Zeit. Aber die haben wir ja – was wunderbar ist!
Worin liegt der Unterschied, wenn Sie ein eigenes Werk dirigieren oder ein fremdes wie die „Sinfonietta“ von Janáček?
Natürlich ist mir meine Musik sehr nahe. Wenn ich sie dirigiere, ist es ein bisschen so, als würde ich Kammermusik spielen. Bei Janáček gilt es, Klarheit darüber zu schaffen, was gemeint ist. Er macht nie das Offensichtliche, sondern immer das Unerwartete. Was sich dann mysteriöserweise immer richtig anfühlt. Auf diese besondere, überraschende und oft sehr witzige Musiksprache muss man sich einlassen. Das braucht Zeit, damit auch alle das gleiche verstehen und rüberbringen. Besonders wenn man wie hier zwölf Trompeten hat. Es gab gewisse Sorgen, dass der Herkulessaal dafür unter akustischen Aspekten zu klein sein könnte. Das finde ich nicht. Es klingt überwältigend – nicht einfach nur laut. Wunderbar! Außerdem stammt die tollste Aufnahme, die es von der „Sinfonietta“ gibt, aus diesem Saal. Es ist die von Rafael Kubelik.
Ihr Klavierkonzert kombinieren Sie mit Janáček, aber auch mit Brittens „Suite on Englisch Folk Tunes“. Gibt es da Bezüge zwischen diesen Stücken und Ihrer Komposition?
Ich denke schon. Wir haben bei Britten und Janáček starke volkstümliche Einflüsse. Beide Komponisten sind sehr originell, schöpfen aber aus einer weit zurückliegenden, urtümlichen nationalen Kulturquelle. Und dem fühle ich mich verbunden. Ich bin quasi am Klavier groß geworden. Alles, was ich tat, war Beethoven, Mozart und Schubert zu spielen. Aus diesen Quellen schöpft mein Klavierkonzert. So gesehen ist es durchaus traditionell. Auf der anderen Seite ist es brandneu und greift Stilistiken unserer Zeit auf. Da sehe ich also schon Parallelen.
Kirill Gerstein hat im März 2019 die Uraufführung in Boston gespielt, auch unter Ihrer Leitung. Seitdem wurde das Werk schon über 40 Mal aufgeführt. Ist es für ihn komponiert?
Oh ja, definitiv! Kirill ist ein echter Virtuose. Er beherrscht das Instrument in wirklich all seinen Facetten. Er kann alle Epochen gleich hervorragend spielen und versteht genau, worin die Unterschiede liegen. Er ist ja auch gelernter Jazzpianist, was natürlich Einfluss in mein Klavierkonzert gefunden hat.
Wie war da die Zusammenarbeit während des Kompositionsprozesses? Ich habe gehört, Sie haben sich gegenseitig Video-Nachrichten zugeschickt…
Ja, das war aber erst ganz am Schluss. Das Stück habe ich alleine geschrieben, da gab es keinen Kontakt. Aber als es fertig war, da hat er Teile gespielt und mir geschickt mit der Frage, ob ich es mir so vorstelle. Wir kennen uns so gut, dass wir ohne viele Worte kommunizieren können.
Sie werden am Samstag gemeinsam Kammermusik im Technikum des Werksviertels spielen….
…ja, auf zwei Klavieren. Ich liebe das und freue mich sehr darauf! Das habe ich von Kirill gelernt: Wenn du auf zwei Klavieren spielst, müssen beide Pianisten quasi den gleichen Herzschlag haben. Und unsere Nervensysteme sind irgendwie sehr gut aufeinander koordiniert. Das ist etwas Wunderbares!
Sie haben einmal den schönen Satz gesagt „Mit 18 Jahren fühlte ich mich wie ein alter Mann, heute fühle ich mich wie ein Baby“. Wie würden Sie Ihre Entwicklung als Komponist beschreiben?
Es ist, wie seine eigene Stimme zu finden. Dieser Prozess dauert ein Leben lang. Man lernt, was man ausdrücken will, was man ausdrücken muss und wie man sich noch präziser ausdrückt. Als ich jung war, habe ich Dinge gerne mit einer gewissen Brillanz rübergebracht – aber die eigentliche Nachricht blieb zu oft verborgen. So schätze ich das zumindest heute ein. Jetzt versuche ich, meine Aussagen direkter und klarer zu treffen.
Es ist dieser Tage fast unmöglich, einen britischen Künstler nicht nach dem Brexit zu fragen…
Ach, Sie haben auch schon davon gehört? (Lacht.)
Und was sind Ihre Gedanken dazu?
Jetzt lache ich. Aber ich weiß: Jeder, der in London mit Musik zu tun hat, ist einfach entsetzt. Das einzig Gute daran ist, dass es uns auch ziemlich wütend macht. Es ist wie ein Putsch. Das ist wirklich schwer zu glauben, es kam irgendwie aus dem Nirgendwo. Ich lebe mein ganzes Leben in der EU. Und ich kann einfach nicht verstehen, dass Leute nicht begreifen können, wie viel wir vom Kontinent profitiert haben und es immer noch tun. Mir ist alleine die Idee, sich davon loszusagen, völlig unbegreiflich. Alles, was ich hoffe, ist, dass der Schaden durch den Brexit nicht zu groß wird und dass es nicht zu lange dauern wird. Denn ich denke, es ist nicht möglich, sich dauerhaft von Europa abzugrenzen. Gerade kulturell ergibt das überhaupt keinen Sinn. Auf lange Sicht würde ein isoliertes Großbritannien implodieren. Also meine ganze Hoffnung ist ein „Breentry“.
Das Gespräch führte Maximilian Maier.