Nein, dieses Stück spielt nicht im Münchner Stadtteil Pasing. Schließlich schreibt sich sein Titel ja auch mit zwei „s“: „Passing – It’s so easy, was schwer zu machen ist“ heißt das jüngste Werk von René Pollesch, das er nach siebenjähriger Kammerspiel-Abstinenz jetzt an diesem Haus zur Uraufführung brachte. Aber so eine Chance zum Kalauer lässt sich der legendäre Antitheater-Macher Pollesch natürlich nicht entgehen, weshalb die Akteure die gespielte Verwechslung von Pasing und „Passing“ genüsslich auswalzen, frei nach dem Motto „Albernheit first“.
Wie überhaupt die Wortwitz-Dichte an diesem Abend fast schon Jelinek’sche Dimensionen erreicht. Was insofern ein leichtes ist, als das Bühnenbild hauptsächlich aus einer gigantisch großen Spinne besteht, die aus schwarz-roten Metallträgern sowie Gelenkteilen zusammengeschraubt wurde und effektvoll aus der Höhe herabschwebt: eine echte Steilvorlage zum verbalen Herum-spinnen, zumal das angeblich „proletarische Theater“, das wir hier neben manch anderem sehen, mit einer „Spinnerei“ (also einer Fabrik) zu tun hat. Und weil’s so gut passt, taucht in „Passing“ auch ein altmodisches Spinnrad auf, das erst mal in den Brunnen geworfen wird, der sich praktischerweise ebenfalls auf der Bühne findet. Merke: Die spinnen, die Theaterleute.
Aber die Lizenz zum Blödeln – auf einer „Meta-Ebene“, versteht sich – war ja immer schon ein Hauptmerkmal der Pollesch-Ästhetik, und siehe da, sie funktioniert immer noch. Auch zwanzig Jahre nach ihrer Erfindung; und nachdem der Erfinder, der demnächst die Intendanz der Berliner Volksbühne übernimmt, längst im Regie-Olymp angekommen ist. Denn obwohl man das Prinzip längst kennt, ist es nach wie vor eine Mordsgaudi, dieses neo-epische Gaga-Theater an Diskurssauce, als dessen „Spin-Doctor“ (wenn schon, denn schon) man René Pollesch hier ruhig einmal bezeichnen darf.
Auf Brecht („das Einfache, das schwer zu machen ist“), dessen Anti-Illusionstheater Pollesch ja weitergesponnen hat, wird an diesem Abend nicht nur im Titel angespielt, sondern auch explizit in herrlich verschwurbelten Diskussionen. Zum Ausgleich tritt ein Cowboy (Kamel Najma) auf, der nur Arabisch spricht, die Souffleuse huscht immer wieder mal über die Bühne, und der wunderbare Thomas Schmauser, der ständig einen Block mit dem Kürzel DKP rumschleppt, erklärt: „Das, was wirklich mit einem zu tun hat, findet immer nebenan statt.“ Eine Erfahrung, die man auch als Zuschauer nicht nur an diesem Abend, sondern bei den meisten Theaterbesuchen macht.
Worum es geht, bleibt, wie stets bei Pollesch, in der Schwebe, um nicht zu sagen: unklar. Natürlich werden auch an diesem Abend viele phrasenhafte Drehbuchsätze gesprochen, um sie und damit die gesamte Kulturindustrie à la Hollywood bloßzustellen in ihrer Lächerlichkeit.
„Ich warte hier auf den Sheriff, er wird ja wohl bald kommen“, sagt etwa Kathrin Angerer. Nein, sie sagt es nicht nur, sie schmachtet, grollt, schmettert es und ist überhaupt die absolute Sensation dieser Aufführung. Denn einerseits chargiert und theatert sie saftig drauf los, um den verstaubten psychologischen Realismus der Darstellung zu parodieren, dessen Mief bis heute die meisten Filme prägt. Andererseits bleibt die Übertreibung so schillernd-filigran, dass es der bekannten Schauspielerin gelingt, noch aus der Karikatur das authentische Leid der Entfremdung herauszuspinnen, das sich in der verlogenen Massenkunst manifestiert. Durch diese geniale Leistung wird aus einem wunderbar amüsanten Abend fast schon eine Sensation. Begeisterter Beifall.
Nächste Vorstellungen
heute sowie am 7., 24. und 30. März; Telefon 089/23 39 66 00.