Rock’n’Roll für die Einsamen

von Redaktion

Gianna Nannini gibt in ihrem Mailänder Haus eine Online-Vorstellung

VON KATJA KRAFT

Jetzt müsste Jubel einsetzen. Jedoch: è impossibile. Denn da ist keiner. Wobei: Doch, da sind rund 6300 Menschen, die Italiens Rockröhre Gianna Nannini gestern Nachmittag bei ihrem improvisierten halbstündigen Konzert zuhören. Allerdings nicht in einem Bühnensaal oder Club. In Zeiten von Corona-bedingter Quarantäne bekommt der Begriff Hauskonzert eine ganz neue Bedeutung. Nannini spielt von zu Hause aus – und tausende Fans schauen von zu Hause aus zu. Online. Via Instagram.

„Das Schlimme an diesem Virus ist die Einsamkeit. Jeder von uns muss unserer Gemeinschaft etwas Eigenes bieten – ich bin in Mailand und möchte einige Rock-Songs von mir akustisch spielen, um allen in Sicherheit näher zu sein“, hat die 65-Jährige am Vortag verkündet. Und um Punkt 16 Uhr tritt sie denn auch gestern ans Mikrofon ihres Home-Studios. Besser: in die Küche desselben. Hinter ihr ein Waschbecken, die Oberschränke beklebt mit Konzertbildern. Links an der Wand Platinschallplatten. Rechts ein orangefarbener Sessel. Mittendrin Nannini in Jeans und weißer Bluse, die immer wieder ermutigend die Arme in die Höhe reckt. Und ihre Zuhörer durch die Kamera direkt anblickt.

Die antworten auf ihre Weise. Statt wie im Clubkonzert zu klatschen oder die Smartphone-Taschenlampen zu schwingen, kommentieren sie ununterbrochen mit Textnachrichten. Am linken Bildschirmrand ploppen die Kommentare auf. Allesamt auf Italienisch. Überall aus dem am stärksten von der Epidemie betroffenen Land in Europa danken sie ihrer „Magica Gianna“. „Adoro questa Canzone!“ („Ich liebe dieses Lied!“), schreibt einer, als Nannini den hinreißenden Liebessong „La differenza“ anstimmt, „Fammi sognare!“ („Lass mich träumen!“), als sie „America“ singt. „Aber wie viel Fantasie braucht es, um sich als Duo zu fühlen?“, heißt es darin. Nannini tritt mit diesem Konzert den Beweis an, dass es dazu nicht viel Fantasie bedarf – indem sie einfach beginnt. Und das manchmal gar nicht so Soziale Netzwerk dazu nutzt, Menschen zusammenzubringen.

„Von diesem Moment an werden wir die Geräte, die bereits in der Schule meiner Tochter genutzt werden, online aktivieren und wir werden alles tun, um diesen schrecklichen Moment gemeinsam zu überwinden“. Auch das hat Nannini zuvor angekündigt. Und wenn man sieht, wie sie diese Geräte nutzt, um in Zeiten von Überlebensangst und Sorge um Angehörige in Italien Hoffnung zu schenken, erkennt man, dass dieses Medium eben auch sehr viel Gutes hat. Das Einzige, was hier ansteckend ist, ist die Lebensfreude. Sie tanzt, sie lacht, sie spielt auf der Gitarre, sie ruft ermutigende Worte, sie legt sich auf die Anrichte – und danach auf dem Sessel ein Päuschen ein. „Che botta di Adrenalina!“ – „Was für ein Adrenalinstoß!“, meint eine Zuschauerin völlig zu Recht.

Die gesamte halbe Stunde über fliegen am rechten Bildschirmrand bunte Herzen entlang. Jedes steht für einen Klick von einem Instagram-Besucher, der der Sängerin und ihrem Gitarristen im Hintergrund „Danke“ sagen möchte. Und die beiden? Tun einfach so, als wären all die zugeschalteten guten Geister auf diesem Geisterkonzert tatsächlich im Raum. „Grazie!“, ruft Nannini immer wieder und verbeugt sich. Irgendwer hinter der Kamera klatscht im Takt mit. Und im linken Bildrand blitzen die Italienflaggen auf. Im Konzert würde man sie mit den Händen in der Luft hissen, im Internet schickt man kleine Abbilder davon. Davor ein Wort in Großbuchstaben: „APPLAUSI!“ Und: „Gianna sei fantastica!“ – Gianna, du bist fantastisch. Molto vero! Grazie, Gianna.

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