Abschied und Aufbruch

von Redaktion

Die Bayerische Staatsoper präsentierte ihre Spielzeit 2020/2021

VON TOBIAS HELL

Ihr Motto für 2020/2021, „Der wendende Punkt“, hat die Bayerische Staatsoper diesmal bei Rainer Maria Rilke gefunden. Dessen „Sonette an Orpheus“ halten nämlich einen Ratschlag parat, den sich Theaterschaffende und Publikum gleichermaßen zu Herzen nehmen sollten. „Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte.“ Und so muss man nun tatsächlich vom geliebten „Rosenkavalier“ Abschied nehmen, der durch eine Produktion von Barrie Kosky ersetzt wird.

Eine durchaus kontroverse Entscheidung, die Intendant Nikolaus Bachler auf der Spielplan-Pressekonferenz am Sonntagvormittag jedoch überzeugend begründete, indem er darauf hinwies, dass nach vier Jahrzehnten selbst von der besten Inszenierung oft wenig mehr bleibt als das Bühnenbild. Für einen frischen Blick sollen daher nun drei Rollendebütantinnen sorgen. Angeführt von Marlis Petersen, die neben dem Octavian von Samantha Hankey und Katharina Konradi als Sophie ihre erste Marschallin singen wird.

Anders als bisher will man auch eine der deutschesten aller deutschen Opern, den „Freischütz“, einmal nicht aus der Wagner-Perspektive denken, sondern eher nach den Wurzeln forschen. Dass Bachler selbst sein Staatsoperndebüt als Schauspieler einst in der von Publikum und Presse gleichermaßen geschmähten Vor-Vorgängerproduktion gab, ist dabei eine nette Anekdote, aber ein Schicksal, das dem von Dmitri Tcherniakov inszenierten Versuch hoffentlich erspart bleibt.

Interessant wird Bachlers letzte Saison vor allem dadurch, dass gleich sechs der acht Premieren-Titel in München uraufgeführt wurden, beziehungsweise werden. So schon zum Auftakt Walter Braunfels’ „Die Vögel“, nach der Vorlage von Aristophanes, die für den Intendanten seither „an Aktualität eher gewonnen als verloren hat“. Inszeniert wird diese Rarität von Frank Castorf, der mit Ingo Metzmacher einen ausgewiesenen Spezialisten für die Musik des 20. Jahrhunderts im Graben hat.

Ein Prädikat, das man auch Kent Nagano zugestehen muss, der im November, die Uraufführung von Luca Francesconis Werk „Timon of Athens“ leiten wird. Womit wir bei einem weiteren Clou dieses Jahresprogramms sind, das alle noch lebenden Generalmusikdirektoren der Staatsoper vereint. Neben Nagano etwa den designierte Chef Vladimir Jurowksi, der außer beim „Rosenkavalier“ noch mit Bergs „Wozzeck“ zu erleben ist. Und anlässlich einer konzertanten „Aida“ im Festspiel-Sommer wird es tatsächlich auch noch mal ein Wiedersehen mit Zubin Mehta geben. Einen Ansturm auf die Karten ist aber natürlich vor allem bei den letzten Abenden mit Kirill Petrenko zu erwarten. Sie sind für die Festspieleröffnung mit „Tristan und Isolde“ doch zusätzlich die Rollendebüts von Jonas Kaufmann und Anja Harteros angekündigt. Womit sich für Bachler gleich mehrere Kreise schließen. War ein „Lohengrin“ mit dem Münchner Traumpaar doch einst seine erste Festspielpremiere. Und auch Kirill Petrenko trifft mit Krzysztof Warlikowski hierbei auf jenen Regisseur, der einst seine Antrittspremiere inszenierte.

Abgerundet wird der Reigen der Neuproduktionen mit einem „Idomeneo“ im Prinzregententheater, der von Dirigent Constantinos Carydis und Antù Romero Nunes verantwortet wird. Und für die Nachwuchstalente des Opernstudios arbeitet Miroslav Srnka derzeit fieberhaft an seiner „Space Opera for Young Voices“, die unter dem Titel „Singularity“ im Juni im Cuvilliéstheater herauskommt. Ergänzt durch die Wiederaufnahme seines „South Pole“, die nun von Marie Jacquot geleitet wird. Sie wird neben Oksana Lyniv („Judith“), Eun Sun Kim („La bohème“), Simone Young („Tannhäuser“) und Keri-Lynn Wilson („Rigoletto“) eine von fünf Frauen am Pult sein. Im Graben staunt man sonst noch über die Rückkehr von Valery Gergiev, der nach einem „Boris Godunow“ in der Sawallisch-Ära nun „Rheingold“ leitet, oder über Franz-Welser Möst, der den österlichen „Parsifal“ stemmt.

Viel Prominenz wie immer auch auf der Bühne bei den insgesamt 45 Opern. So gibt es etwa eine „Butterfly“-Serie mit dem Duo Alagna/Kurzak, oder eine erneute Begegnung mit dem Ehepaar Netrebko, das in „Turandot“, sowie in Puccinis „Tosca“ zu hören sein wird. Und selbst beim Staatsballett lockt neben der Übernahme von Christopher Wheeldons „Cinderella“ aus Amsterdam mit „Der Schneesturm“ eine Uraufführung. Wobei sich die Puschkin-Vorlage für Choreograf Andrey Kaydanovskiy ideal für ein Ballett anbot. „Kaum Dialoge. Nur Action, Action, Action.“

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