Wenn sich das eigene Dasein plötzlich zerbrechlicher anfühlt als zuvor, weil etwa ein gewisses Alter erreicht ist oder weil eine geliebte Person gestorben ist, dann, so heißt es oft, erinnert man sich an jene Momente, die besonders waren im Leben, die schöner waren oder auch schmerzhafter als andere. Graham Swift, in dessen Œuvre die Erinnerung schon oft eine zentrale Rolle eingenommen hat, lässt in seinem neuen Roman „Da sind wir“ eine Frau in den Siebzigern auf ihre Jugend zurückblicken. Evie White ist frisch verwitwet, war in jungen Jahren Assistentin und Verlobte eines begabten Zauberkünstlers, wurde aber auch begehrt von dessen Freund Jack. Es ist also eine klassische Dreiecksgeschichte, die während eines einzigen Nachkriegssommers im südenglischen Badeort Brighton beginnt, ihren Lauf nimmt und schließlich auf mysteriöse Weise endet.
Eine von Graham Swifts herausragenden Fähigkeiten besteht darin, seine Figuren sogar in Kurzgeschichten so eindrücklich zu zeichnen, dass sie den Leser in Rekordzeit für sich einnehmen. In diesem Werk hapert es ausgerechnet daran ein wenig. Am nächsten kommt man noch Ronnie, dem Zauberer, der nicht nur Glutaugen und womöglich echte Magie vorweisen kann, sondern von Swift auch noch mit einer bewegten Kindheit und einer echten Entwicklungsgeschichte bedacht wird.
Evie und Jack hingegen bleiben blass, beinahe uninteressant. Umso passender also, dass Ronnie von den dreien das zweifellos interessanteste Schicksal gegönnt wird – schade trotzdem, dass nach der Lektüre das Gefühl bleibt, hier habe ein brillanter Schriftsteller sein Potenzial nur einer seiner Figuren zuteilwerden lassen.
Graham Swift:
„Da sind wir“. Aus dem Englischen von Susanne Höbel. dtv, München, 160 Seiten; 20 Euro.