Der freundliche Barde

von Redaktion

Zum Tod von Country-Star Kenny Rogers, der mit seinen Songs ein Anwalt der Verlierer war

VON ZORAN GOJIC

Als die Menschen in Deutschland Kenny Rogers erstmals wahrnehmen, ist der Eindruck – natürlich – völlig falsch. Das steht ein fülliger Mittvierziger mit grau meliertem Haar und singt gemeinsam mit Dolly Parton das Schlager-Duett „Islands in the Stream“ mit dem berühmten ausgeatmeten „Hah – ahh“ im Refrain. 1983 wird Rogers damit weltweit zu einem Begriff, dabei ist er in seiner Heimat USA schon lange eine große Nummer. Er ist der Country-Sänger, auf den man sich einigen kann, selbst wenn man keine Country-Musik mag. Und für Fans, die mit Genre-Rabauken wie Willie Nelson nichts anfangen können, ist Rogers mit seinen ungeschönten Verliererdramen gerade noch gefällig genug.

Über 100 Millionen Tonträger geben der Methode Rogers recht, vor allem in den USA ist er über Jahrzehnte präsent und landet von den Sechzigerjahren bis in die jüngere Vergangenheit mit Alben und Singles regelmäßig in den oberen Regionen der Charts. Viele, die so etwas in dieser Konstanz geschafft haben, gibt es nicht in dem Geschäft. Rogers ist dafür dankbar, auch wenn er gelegentlich damit gehadert hat, in der Country-Nische einsortiert worden zu sein. Aber er weiß eben auch: „Neue Rockstars kommen und gehen ständig. Die Country-Fans bleiben immer bei Dir, wenn Du einen Song hattest, den sie mögen.“

Wenn man wie Kenny Rogers in eine bitterarme zehnköpfige Familie in Amerikas Süden hineingeboren wird, lernt man, dass man es nehmen muss, wie es kommt. „Ich habe schon löchrige Jeans getragen, lange bevor das in war“, erzählt er später einmal beiläufig, was ahnen lässt, wie es um die Haushaltslage der Rogers’ steht. Der Vater trinkt zu viel und ist wohl auch sonst weit von einem vorbildlichen Erziehungsberechtigten entfernt. Kenny ist, das wird schnell klar, anders. Sanft, wissbegierig, ehrgeizig. Als Erster aus seiner Familie macht er einen Schulabschluss. Und schon als Teenager verdient er sich mit Musik etwas dazu.

Mit seiner Doo-Wop-Gruppe „The Scholars“ hat er regional Erfolg, seine Leidenschaft gehört aber dem Jazz. Rogers schlägt sich ganz gut durch, an eine große Karriere denkt er freilich nicht. Was für ein guter Musiker und lässiger Hund dieser Mann ist, kann man exemplarisch an seinem ersten Hit „Just dropped in“ hören, den er 1968 etwas überraschend mit seiner Band „First Edition“ landet. Verzerrte Gitarren, eine hypnotische Bassfigur (von Rogers gespielt) und ein selbstironischer Text machen das Lied zu einem Erfolg und lassen nicht ahnen, dass dieser Musiker mal ein Country-Star werden wird.

Aber Country liegt bald darauf in der Luft. Johnny Cash feiert gerade ein machtvolles Comeback mit seinem Live-Album „At Folsom Prison“, 1969 veröffentlicht sogar Bob Dylan eine solche Platte, und die Beatles haben mit „The Ballad of John and Yoko“ einen Hit, der deutlich von dieser Stilrichtung inspiriert ist. Auch Rogers springt auf und liefert mit „Ruby“ 1969 gleich einen unverwüstlichen Klassiker. Zu verführerisch sanften Klängen singt er glaubhaft verletzlich von einer zerbrochenen Ehe: Der Mann ist Kriegsinvalide und kann seiner Frau nicht mehr die Liebe geben, die sie braucht.

Einfache Geschichte, effektiv umgesetzt und musikalisch so verpackt, dass es keinen verschreckt – Rogers hat sein Erfolgsrezept gefunden und fährt gut damit. „Lucille“, „Coward of the Country“ oder „Gambler“ funktionieren ähnlich. Der Text von „Gambler“ wird prompt zur Grundlage für eine TV-Serie, in der Rogers die Hauptrolle übernimmt. Aber den Erfolg empfindet er auch ein wenig als Käfig und sucht nach Wegen, aus eingefahrenen Mustern auszubrechen – aber dabei nicht zu radikal zu werden: Er weiß, dass man sich nicht beklagen darf, wenn man über Jahrzehnte gut im Geschäft ist.

2017 befolgt der Star seinen eigenen Rat, einfach zu gehen, wenn es Zeit ist, und gibt rauschende Abschiedskonzerte. Er hat in fünfter Ehe wieder Kinder bekommen und will diesmal seine Söhne aufwachsen sehen. Nun ist Kenny Rogers, der freundliche Barde, mit 81 Jahren in Georgia gestorben. Er ist oft belächelt worden und wusste das auch. Aber man darf vermuten, dass seine Lieder länger überdauern werden als die Aussagen seiner Spötter. Weil Rogers nie ein Zyniker geworden ist, trotz aller Versuchungen. Und das spüren die Menschen.

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