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von Redaktion

Woody Allens umstrittene Autobiografie „Ganz nebenbei“ ist jetzt auf Deutsch erschienen

VON ZORAN GOJIC

„Schwein gehabt.“ Das ist nach fast 450 Seiten Woody Allens knappes Fazit über 84 Jahre Dasein, das er grundsätzlich für sinnlos hält. Aus dem jüdischen Immigranten-Spross Allan Konigsberg, in eher bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, ist ein berühmter Mann geworden, der ein außerordentlich privilegiertes Leben führen darf – und das ist ihm bewusst. Er tut, wozu er Lust hat, und kann sich davon ein Stadthaus in Manhattan leisten, vornehm Essen gehen, was er gerne macht, und in seinen Lieblingsstädten Paris und Venedig in den besten Häusern absteigen. All das nur, weil die Menschen ihn witzig finden.

In seinen Memoiren „Ganz nebenbei“ beschreibt Allen launig und natürlich sehr komisch, wie aus dem scheuen Kind schrulliger Eltern ein gefeierter Komiker wird. Er hat früh Erfolg, noch als er auf die Schule geht, verdient er als Gagschreiber mehr Geld als seine Eltern. Kaum volljährig ist er eine große Nummer beim Fernsehen und gilt als Wunderkind des Humors. Als Mittdreißiger ist er ein Kinostar und kauft sich ein großzügiges Penthouse direkt am Central Park – auch Anfang der Siebzigerjahre ein exklusives Hobby für Millionäre. Was Allen immer wieder wortreich beschreibt: Seine Karriere sei an sich ein Witz, all die kultische Verehrung, die philosophische Deutung seines Werks Unfug. Er mache einfach Gags und sei gar kein Intellektueller.

Als Jugendlicher sieht er viele Hollywood-Schinken, vieles davon B-Ware, liest Comics und interessiert sich nur für Sport. Denn, und auf diese Feststellung legt Allen auffallend viel Wert: Er sei kein Bücherwurm gewesen, sondern Sportler. Exzellenter Läufer und ziemlich guter Baseball-Spieler. Alles ändert sich freilich, als ihm klar wird, dass die Mädchen, die ihm gefallen, auf Typen stehen, die gebildet sind und sich mit Kunst und Literatur auskennen. Also liest Allen, eignet sich ein profundes Halbwissen an und wird eine Art geistreicher Hochstapler. So schildert es wenigstens Allen, aber man muss nicht alles glauben.

Was bei der Lektüre von „Ganz nebenbei“ ebenfalls ins Auge fällt: Wie akribisch der Regisseur aufzählt, wie viel Glück man brauche, um die richtigen Leute kennen zu lernen. Allen hatte wahnsinniges Massel, und es schwingt erkennbar aufrichtige Dankbarkeit mit, wenn er sich an all die Mentoren und Kollegen erinnert, die ihm beigebracht haben, wie das Handwerk funktioniert. Denn Humor, darauf besteht Allen, sei harte Arbeit und erfordere Disziplin.

Ansonsten schwelgt der 84-Jährige sehr oft in erotischen Rückblenden, denn Frauen, das überrascht nicht weiter, haben ihn immer fasziniert. Das liest sich trotz des einen oder anderen Fremdschämmoments sehr schön, und natürlich muss man oft lachen, wenn Allen erklärt, weshalb er noch nie etwas mit Religion anfangen konnte oder wie wenig er mit dem Kulturbetrieb am Hut hat.

Bis zum letzten Drittel also ist das lesenswert, und dann tritt Mia Farrow in das Leben von Woody Allen. Eine eher unerquickliche Angelegenheit für den Filmemacher und für den Leser. Zur Erinnerung: Als Allen Farrow für deren Adoptivtochter Soon Yi verließ (mit der heute 49-Jährigen ist er nach wie vor verheiratet), nahm Mia Farrow das erwartungsgemäß sehr schlecht auf. Wenig später beschuldigte sie ihren Ex, seine Adoptivtochter Dylan sexuell missbraucht zu haben. Es gab Prozesse, Gutachten, sehr viele unschöne Szenen. Allen bestand auf seiner Unschuld und wurde nie belangt, weder Gerichte noch Psychologen folgten Mia Farrows Version.

Warum also schreibt Allen mehr als 100 Seiten darüber? Weil ein Vierteljahrhundert später Farrow unter den Vorzeichen der #MeToo-Debatte die Fehde wieder aufnahm. Und auch Dylan warf 2018 ihrem Adoptivvater öffentlich sexuellen Missbrauch vor. In der allgemeinen Erregung distanzierten sich einige Prominente von Allen, womöglich ohne genau zu wissen, worum es sich im Einzelnen eigentlich dreht. In der Empörung ist oft keine Zeit für Differenzierung. In den USA laufen inzwischen Allens Filme nicht mehr, und seine Autobiografie erscheint verzögert, weil der Verlag sich weigerte, sie herauszubringen (wir berichteten).

Allen findet das unmöglich, weil ihm noch nie eine Schauspielerin oder Angestellte in mehr als 50 Jahren im Filmgeschäft je Missbrauch vorgeworfen hätte. Und anders als andere Regisseure hatte Allen seit jeher große, kluge und komplexe Frauenfiguren in seinen Arbeiten. Den Vorwurf, ein kleines Mädchen missbraucht zu haben, will er also nicht einfach stehen lassen. Allerdings tut er sich mit den ausufernden Erläuterungen und dem ins Larmoyante kippenden Tonfall eher keinen Gefallen. Was er da episch ausbreitet, hätte man auch auf zehn Seiten knapp darlegen können.

Wer also in Allen unbedingt einen amoralischen Lustmolch sehen will, wird es weiterhin tun, egal wie viele Gutachten oder Aussagen angeführt werden. Allen ist das bewusst. Warum er sich allerdings in eine Schlacht wirft, die er nicht gewinnen kann, weiß nur er selber. Er wirkt da wie ein alter Sturkopf, der immer wieder dieselbe Geschichte erzählt – eine skurrile Figur, wie sie früher vielleicht in seinen Filmen aufgetaucht wäre.

Am Ende immerhin kommt die resignierende Einsicht: Woody Allen will gar nicht in den Köpfen und Herzen der Menschen weiterleben, sondern in seiner Wohnung.

Woody Allen:

„Ganz nebenbei“. Aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Jacobs, Hainer Kober, Andrea O’Brien. Rowohlt, Reinbek, 448 Seiten; 25 Euro.

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