Das wäre sein Karriere-Höhepunkt gewesen: Im Sommer hätte Günther Groissböck erstmals den Wotan in Wagners „Ring“ verkörpern sollen, dies bei den gerade abgesagten Bayreuther Festspielen (siehe unten). Doch den 43-jährigen Österreicher treibt auch anderes um. Zur Corona-Krise hat er ganz eigene Ansichten, er beklagt Überreaktionen und fürchtet die Aushöhlung des Rechtsstaats.
Vor was haben Sie momentan am meisten Angst?
Vor Aktionismus und politischen Überreaktionen. Vor Maßnahmen, die mehr schaden, als dass sie uns vor etwas bewahren. Eine Infektion macht mir persönlich keine Angst. Was ich feststelle, ist eine Art Schockstarre bei vielen Menschen. Und eine große Zahlenverwirrung.
Sie trauen den offiziellen Zahlen nicht?
Doch. Maßgeblich sind für mich allerdings die Anzahl der Todesfälle, auch im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, und die Zahl der Intensivpatienten. Infektionszahlen interessieren mich weniger, weil diese von der Testhäufigkeit in den Ländern abhängen und damit nicht für einen Vergleich taugen. Darauf verweisen auch kritische Experten. Es existiert bei uns eine Angst, dass das Gesundheitssystem kollabieren könnte. Nun haben wir aber bereits die dritte Woche mit extremen Maßnahmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, und Notlagen in dieser Form sind nicht annähernd eingetreten. Also wie lange sollen und können wir einen Zustand beibehalten, der in Grundrechte so vehement eingreift? Vielleicht fallen diese Kollateralschäden am Ende massiver ins Gewicht als die gesundheitlichen.
Immer häufiger wird über die Rückkehr zur Normalität gesprochen. Der „Spiegel“ schrieb von der möglichen „Revolution der Mittelschicht“.
Die soziale Frage könnte zum Problem werden. Man spürt ein Rumoren und Hinterfragen, gerade weil man ahnt, dass das Wirtschaftssystem schwer geschädigt wird. Was man darüber hinaus nicht vergessen darf: Es geht auch und besonders um die Einschränkung von Freiheitsrechten, wie wir das seit dem Zweiten Weltkrieg so noch nie kannten. Auch Meinungskorridore und das Unterbinden von Kritik an den Maßnahmen könnte zu einer neuen Art des Aufbegehrens beitragen. Egal, wie die einzelne Meinung ausfällt – das freie Wort muss weiter erlaubt sein dürfen.
Welche Alternativen haben Sie statt der verhängten Maßnahmen?
Ich hätte alles so weit als möglich laufen lassen. Man hätte eindringlichst und mit massiven Argumentationen Risikogruppen warnen können – und ihnen jede erdenkliche Hilfe zur Verfügung stellen. Es ist eben ein Appell zur Eigenverantwortung. Für Berufstätige in einer solchen Gruppe hätte man einen Extra-Fonds einrichten können. Der weit überwiegende Teil der Infizierten hat mit Corona so gut wie kein Probleme. Es geht auch ums Psychosoziale: Die Leute sind total verunsichert. Einerseits ging es bis vor Kurzem um eine kontrollierte Infektion der Nicht-Risiko-Gruppe, um schnellstmöglich „Herdenimmunität“ zu erzielen, andererseits wird, auch durch die Medien befeuert, eine irrsinnige Panik vor Ansteckung verbreitet. Das finde ich schizophren. Und dass manche Menschen die Situation nicht mehr aushalten, davon haben wir ja mittlerweile auch erfahren.
Sie gehen von einer Vernunftbegabung aus. Und wenn man sich dann vor zwei Wochen die Massen an der Isar und in den Cafés anschaute…
Vernunftbegabung ist die Voraussetzung einer freien, demokratischen Gesellschaft. Der Straßenverkehr etwa funktioniert doch nur so: Wir gehen davon aus, dass der andere die Regeln kennt und mir bei der nächsten Kreuzung nicht in den Wagen fährt. Allerdings sehen gerade ältere und gefährdete Mitmenschen Corona oft viel entspannter, weil sie am Ende ihres Lebens die Nähe zu ihren Liebsten suchen. Auch wenn sie sich damit einem erhöhten Risiko aussetzen, so ist die Umarmung eines nahestehenden Menschen viel wichtiger als die sterile Behandlung durch Pflegepersonal. Wir haben in unserer Familie gerade einen solch traurigen Fall, wo jemand bald in Einsamkeit sterben könnte.
Was nehmen wir aus der Corona-Krise mit? Solidarität, sich neu besinnen auf das Zusammenleben… Was bleibt an Negativem?
Diese positiven Aspekte sehe ich genauso. Wir können uns nun wieder darauf besinnen, was Leben überhaupt ausmacht. Das Negativste ist, dass sich wieder eine Art moralisierende Blockwart-Kultur entwickelt. Entscheidender ist aber: Was bleibt von den Einschränkungen der Rechte, von Maßnahmen, die uns quasi über Nacht überfallen haben? Als man etwa 2015 „temporäre Grenzkontrollen“ zwischen Österreich und Deutschland einführte, hieß es, das sei auf drei Monate beschränkt. Jeder hat’s damals verstanden. Nach fast fünf Jahren gibt’s den Unsinn noch immer. Von Verhältnismäßigkeit kann auch da überhaupt keine Rede sein. Peu à peu werden so Grundrechte ausgehebelt. Man denke auch nur an die gerade diskutierte Überwachung per Handy.
Wie geht es Ihnen in der Situation jetzt?
Ich war in der vergangenen Woche völlig am Boden. Man hat einen Kalender, der so verrückt ist, weil man von einem Höhepunkt zum nächsten jagen darf – und plötzlich wirst du von 200 auf null gebremst. Vor allem ist für mich das Singen viel mehr als ein Beruf. Beinahe etwas Überlebenswichtiges. Natürlich trifft einen das auch wirtschaftlich hart. Und man mag sich als freier Künstler gar nicht ausmalen, wie es ist, wenn alles noch bis über den Sommer hinweg anhält.
Als Jürgen Klopp zu Corona gefragt wurde, hat er das niedergebügelt: Er sei als Trainer kein Experte. Wenn nun einer sagt: Was will Günther Groissböck überhaupt, der soll lieber singen?
Das würde ich ja gern! Ich rede ja auch kaum über die Krankheit an sich. Mir geht’s um harte Fakten wie Todesfälle und Intensivpatienten. Mein Vater war Arzt, meine Schwester ist Ärztin, und mein Schwager ist Arzt, da ist also ein gewisses familiäres medizinisches Umfeld vorhanden. Aber ich bin klarerweise kein Experte, auch wenn ich bei diesem Wort immer skeptisch bin und ich mich sofort frage: Woher kommt der Experte? Von wem wird er bezahlt? Wem steht er in der Pflicht? Jürgen Klopp wurde zu einem relativ frühen Zeitpunkt der Krise gefragt. Damals hätte ich wohl auch so reagiert. Mittlerweile darf sich in dieser heiklen Situation keiner mehr um eine Meinung drücken. Damit wären wir wieder bei Demokratie, Mündigkeit und Eigenverantwortung.
Das Gespräch führte Markus Thiel,