Als die Männer begannen, ihr Fach zu erobern, war es fast aus mit der Contenance. Einmal saß Hertha Töpper in der Jury eines holländischen Gesangswettbewerbs, da betrat ein Countertenor die Bühne. „Mir ist im Magen übel geworden, als ich diesen beinlosen Buben hörte“, erzählte sie viele Jahre später unserer Zeitung. Trotzdem hat sie ihm ein „sehr gut“ gegeben: „Er war hervorragend, nur halt nicht mein Geschmack.“
Und im tiefsten Innern war ihr sowieso klar (genauso wie dem Gros der Musikfreunde): Gegen Stimmen wie die der Töpper, reich, ausdrucksvoll, sinnlich, prickelnd androgyn, haben die Kerle ohnehin keine Chance. Die Pointe: Ausgerechnet in Männerkleidern feierte die gebürtige Grazerin und Wahl-Münchnerin ihren größten Opernerfolg: Als Octavian im „Rosenkavalier“ von Richard Strauss war Hertha Töpper Institution und Legende. Weit über 100 Mal hat sie die silberne Rose auf der Bühne überreicht, am vergangenen Samstag ist die Sängerin – wie erst jetzt bekannt wurde – im Alter von 95 Jahren gestorben.
Natürlich waren da ihre Leib- und Magenpartien wie Cherubino, Dorabella, Fricka, Carmen oder Brangäne, die sie nicht zuletzt während ihrer Ensemblezeit an der Bayerischen Staatsoper verkörpert hat – und an Häusern wie London, Mailand, Wien und New York. Doch Hertha Töpper war eine der wenigen, die mit bestechendem Stilbewusstsein doppelgleisig fahren konnte. Mindestens so wichtig und legendär waren ihre Auftritte in Oratorien. Und hier vor allem zusammen mit dem Münchener Bach-Chor unter Karl Richter. Viele Einspielungen gibt es davon, die beiden großen Bach-Passionen, besonders aber eine ganze Reihe von Kantaten. Wer diese Aufnahmen hört, ist verblüfft: Hertha Töpper könnte, obwohl mit einer großen Mezzostimme gesegnet, heute fast problemlos mit den Stars der Alte-Musik-Szene auftreten. Eben weil sie keine typische Opernstimme hatte: klar konturiert, nicht ausufernd, textprägnant, wie eine natürliche, ästhetisch geschmackvolle Weiterentwicklung der Sprechstimme. Und immer, auch das eine Eigenart, schimmerte da ein dunkel glühender Tragödienton durch: Hertha Töppers Kunst war oft wie ein klingender Gruß aus der griechischen Antike.
Noch vor dem Abitur begann sie mit dem Gesangsstudium. In ihrer Heimatstadt Graz debütierte die Töpper 1945 als Ulrica in Verdis „Maskenball“. Sechs Jahre später durfte sie erstmals in Bayreuth singen. Wagner hatte ohnehin für ihr Initiationserlebnis gesorgt. Als sie erstmals den „Lohengrin“ hörte, war es um die Töpper geschehen. Und als Jugendliche auf dem Opern-Stehplatz hatte sie sogar irgendwann die Idee, Wotan überreden zu wollen – er solle sich in der „Walküre“ doch bitte nicht von seiner Tochter Brünnhilde trennen. Schon bald kannte Hertha Töpper ihre Lieblingspartien auswendig – für die spätere Karriere brauchte sie also „nur“ noch die Technik.
1952 wechselte sie nach München, die Stadt wurde zum Lebens- und Berufsmittelpunkt. Drei Jahre zuvor hatte Hertha Töpper den Komponisten und Musikwissenschaftler Franz Mixa geheiratet. Er bildete ihre Stimme aus, zwischen 1971 und 1981 gab die Töpper das Wissen um ihre Kunst an der Münchner Musikhochschule weiter. 1980 entschloss sie sich zum Bühnenabschied – schweren Herzens, wie sie eingestehen musste.
Wer sie später besuchte, in ihrer Wohnung am Altstadtring, der spürte, wie übervoll diese Sängerin war mit Erinnerungen, Geschichten und Analysen. Eine Schauspielerin, so sagte Hertha Töpper, sei sie nie gewesen. „Ich hab’s eben gelebt.“ Kaum zu glauben, dass sie, die immer so kontrolliert klang, sich in die Probenarbeit förmlich hineinwarf. „Ich war unendlich gern auf der Bühne und habe mich dort zu Hause gefühlt“, sagte sie. „Und ich war eine Steherin, war immer g’sund. Ich habe geglaubt, dass ich ohne Theaterluft nicht leben kann. Doch ich stellte leider fest: Es geht.“