Die Freiheitsliebende

von Redaktion

NACHRUF Zum Tod der Schauspielerin und Politikerin Barbara Rütting

VON ALBERT MEISL UND CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Wie keine andere Deutsche vermochte es Barbara Rütting, auf den ersten Blick Gegensätzliches zu vereinen. So wurde sie zu einer Vorreiterin der Frauenbewegung – in ihrem Leben, aber auch in vielen ihrer Rollen. Wie jetzt bekannt wurde, ist die Schauspielerin, Politikerin und Autorin bereits am Samstag im Alter von 92 Jahren im unterfränkischen Marktheidenfeld gestorben.

Dass die mit herber Schönheit und eher düster-strengem Ausdruck ausgestattete Berlinerin, 1927 als Waltraut Goltz geboren, zu einem der prägenden Gesichter des Kinos der Fünfzigerjahre wurde, ist durchaus verwunderlich. Schien die Leinwandkarriere doch damals tränendrüsigen Seelchen wie Maria Schell oder süßen Mäderln vom Schlag einer Romy Schneider vorbehalten. Die eigenständige Rütting hätte eher nach Italien oder Jugoslawien gepasst als ins biedere Wirtschaftswunderkino. Nur folgerichtig, dass eine ihrer ersten wichtigen Rollen 1954 die einer Partisanin in Helmut Käutners starkem Weltkriegs-Drama „Die letzte Brücke“ war. Eine Nebenrolle freilich, während die Schell als deutsche Lazarettärztin den Hauptpart hatte.

Vielleicht würde man die Schauspielerin Rütting heute nicht mehr kennen, hätte sie nicht zwei Jahre später ihre Rolle bekommen: die Geierwally. 1956 wurde der Film als Remake der 1921 und 1940 entstandenen Fassungen unter der Regie von Franz Cap gedreht – produziert übrigens von der Münchner Filmlegende Peter Ostermayr. In dem schwerblütigen Heimatfilm geht es um eine Bauerntochter, die sich einer arrangierten Ehe verweigert, verstoßen wird und problemlos eine Männerhorde mit einem brennenden Scheit in die Flucht schlägt. Als sie ein Geierjunges entdeckt und aufzieht, hat sie ihren Namen weg. Dass sie am Ende doch ihr Lebensglück an der Seite eines Mannes findet, darf man dem Zeitgeist zuschreiben. Rütting gelang es damit aber, das Heimatfilm-Genre um das Bild der freiheitsliebenden Frau zu erweitern.

So wurde Hollywood auf sie aufmerksam. In Douglas Sirks „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ (1958) verkörperte sie, wenig überraschend, erneut eine Partisanin. In Gottfried Reinhardts „Stadt ohne Mitleid“ spielt sie 1961 die unbestechliche Reporterin Inge Körner, die einen Vergewaltigungsprozess kritisch begleitet und von Kirk Douglas mit den abschätzigen Worten „Ein feines Blatt, wie kann man nur für so was schreiben, Lady?“ begrüßt wird. Das kostet der Rütting jedoch kein Wimpernzucken. Auch in den Edgar-Wallace-Filmen „Der Zinker“ (1963) und „Neues vom Hexer“ (1965) war die Schauspielerin, deren schwarzes Haar mit ihren strahlend blauen Augen eine ideale Allianz einging, in Hauptrollen zu sehen. Und als fortschrittliche Lehrerin Dr. Kramer widersetzte sie sich 1969 in der TV-Serie „Die Kramer“ dem zopfig-altväterlichen Stil ihrer männlichen Kollegen.

Rüttings Blütezeit hätte im Neuen Deutschen Film liegen können, doch fand dieser eigenartigerweise keine Verwendung für sie. Nach ihrer letzten Kinorolle an der Seite von Gert Fröbe im unterdurchschnittlichen Klamaukstreifen „Mein Onkel Theodor oder wie man im Schlaf viel Geld verdient“ (1975) wurde es still um sie, und ihre Karriere versandete mit Episodenrollen in Serien wie „Derrick“ oder „Ein Fall für zwei“.

Rütting hatte kein Problem damit, ihre Energie steckte sie da längst in ihr politisches und soziales Engagement. Das brachte sie von 2003 bis 2009 für die Grünen ins Maximilianeum. Manche erinnern sich, wie sogar Edmund Stoiber ehrfürchtig zu ihr aufgeschaut haben soll: Filmstar seiner Jugend, was für eine Erscheinung mit strahlend weißem Haar und Lesebrille!

Nur – verklären sollte man Rüttings Politkarriere nicht. Sie eckte an, selbst bei den Grünen. Der Landtagsbetrieb mit seinen Sitzungen und seiner Zähheit war und blieb ihr fremd. Fraktionsdisziplin, Tagungspräsenz, Hierarchien, Kompromisse – ein Gräuel. „Du konntest mit ihr schon debattieren“, sagt ein Parteifreund von einst, „aber sie hat ihre Meinung fast nie geändert“. Immer stärker dominierte der Tierschutz ihre Agenda. Sepp Dürr, der nicht auf den Mund gefallene Fraktionschef, redete oft auf seine widerspenstige Abgeordnete ein. Einmal, mitten im Wahlkampf 2008, musste er an den Chiemsee eilen, um Rütting zu beknien, nicht hinzuwerfen. Sie war zutiefst verstört: Ihr Hund war gestorben. Dürr hatte Erfolg, aber nicht für lange. 2009 endete ihre Politkarriere, keine Lust mehr aufs Mandat, Bruch mit den Grünen: zu wenig Tierschutz, zu wenig Pazifismus. Rütting wendete sich einer Kleinpartei zu, weitere Kandidaturen blieben erfolglos. „Eine tolle Frau“, ruft Dürr heute ins Telefon, wenn man ihn nach Rütting fragt: „Aber Nerven hat sie mich gekostet, Nerven! Keine Politikerin. Eine Diva! Einfach eine Diva!“

Dass sie eine Frau war, die schon immer gegen den Strom schwamm, machte auch ihre zweite Ehe klar. Während Schauspielerinnen ihrer Generation meist in Filmstars, Sängern oder Industriellen ihre Partner fanden, war sie von 1955 bis 1964 mit Heinrich Graf von Einsiedel verheiratet, einer Art Gottseibeiuns der Rechten und Konservativen der BRD. Denn der Jagdflieger hatte nach seiner Gefangenschaft an der Ostfront 1942 eine kommunistische Antifa-Schule besucht und zählte zu den wenigen deutschen Offizieren, die im „Nationalkomitee Freies Deutschland“ von sowjetischem Boden aus zum Widerstand gegen das Hitler-Regime aufgerufen hatten.

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