Der Madonnen-Macher

von Redaktion

Zum 500. Todestag Raffaels – und zu seinen Werken in der Alten Pinakothek

VON SIMONE DATTENBERGER

Auf dem Gipfel seiner Karriere stirbt der Maler Raffaello Santi/Sanzio, gebürtig aus Urbino, in der Ewigen Stadt, in Rom. Es ist Karfreitag, der 6. April 1520. Er ist berühmt, begehrt bei adeligen und vermögenden Auftraggebern – und bei den Päpsten. Der Mann, der 1483 (vielleicht am 6. April) zur Welt kam und mit „raphaello“ oder „Raphael urbinas“ unterzeichnet, hat zu dem Zeitpunkt eine leistungsfähige Werkstatt, kümmert sich um den Umbau des Vatikans und des Petersdoms, außerdem um die antiken Stätten. Seine Wandgemälde für einige päpstliche Repräsentationsräume (Stanzen) sind atemberaubend. Und das sind sie noch heute.

Der Malerstar der Hochrenaissance machte nach seinem Tod weiterhin Karriere. Gerade im 19. Jahrhundert lagen ihm die Kunstkenner zu Füßen – und rissen sich um seine Gemälde. Als Herrscher musste man zumindest einen Raffael in seinem Besitz haben. Am liebsten eine Madonna. Diese lieblichen Mädchen waren das Markenzeichen Raffaels geworden und berührten ganz besonders die Herzen der sentimentalisch gestimmten Menschen unseres vorvergangenen Jahrhunderts. Es ging nicht um die Himmelskönigin. Man wollte das junge Ding von nebenan sehen, das die Mutter Gottes wurde.

Deswegen bemühte sich ein gewisser bayerischer Kronprinz Ludwig 1819 um „Die Madonna della tenda“ (Zelt), um 1513/14 entstanden. Das Gemälde mit Maria, Jesus und dem Johannesknaben war durch die Wirren der napoleonischen Kriege vom spanischen Escorial nach London gelangt. Als König schlug Ludwig I. 1829 noch einmal zu. Seine Agenten konnten die „Madonna Tempi“ (um 1507) aus dem Florentiner Tempi-Geschlecht erwerben. Ludwig ergänzte mit diesen Werken seinen Raffael-Besitz. Denn mit der Düsseldorfer Galerie, die Karl Theodor 1777 geerbt hatte, war 1806 die „Heilige Familie aus dem Hause Canigiani“ (um 1507) nach München gelangt. Die bayerische Wittelsbacher-Linie war ausgestorben, und die pfälzische Verwandtschaft rückte nach. Ludwig hatte also für seine Alte Pinakothek Arbeiten des umschwärmten Italieners, die aus dessen Hochzeit in Florenz und Rom stammten. Der Grundstein dieser ersten Pinakothek wurde 1826 übrigens an Raffaels Geburtstag gelegt.

Raffaello Santis/Sanzios Ausbildung und Werdegang sind hervorragend und zielgerichtet. Damals ist es absolut nicht so, dass Eltern sagen: „Oh Gott, oh Gott, der Bub will Künstler werden.“ Und das nicht nur, weil Raffaels Vater ebenfalls als Maler arbeitet. Das ist ein angesehener Beruf, der als Handwerk mit Lehrlingen, Gesellen, Meistern strukturiert wird. Der junge Santi lernt wohl beim Papa in Urbino, geht dann nach Perugia zu Perugino und Florenz, wo die Sterne Fra Bartolommeo, Leonardo und Michelangelo leuchten – von denen man viel lernen kann. Schnell ist Raffael ein namhafter Künstler mit guten Aufträgen für Kirche und Adel. Ab 1508 sogar mit päpstlichem Segen. Julius II., der unter anderem die megaberühmte „Sixtinische Madonna“ (heute in Dresden) in Auftrag gab, holt den Künstler an den Vatikan, um dort die Stanzen auszumalen, die Domhütte zu leiten und weitere Projekte zu entwickeln. Da auch Michelangelo dort engagiert ist, gibt es laufend Ärger. Sein Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle wird Raffaels Stanzen-Bilder an Popularität überstrahlen. Dessen Liebesleben ist je nach Quelle turbulent – wenigstens kennen wir la Fornarina, sein Modell, von Bildern – oder grundanständig. Entsprechend wabern die Gerüchte über seinen Tod zwischen Syphilis und Pest. Auf jeden Fall wird er ungewöhnlich schnell, dennoch hochgeehrt und wunschgemäß begraben: im Pantheon.

Das älteste Münchner Raffael-Bild, die Heilige Familie mit Elisabeth und dem kleinen Johannes, zeigt eine Pyramiden-Komposition. Der stehende Joseph bildet die Spitze. Jesus und auch Johannes (der Täufer) sind als Babys der helle Kern, flankiert von den auf der Wiese sitzenden Mamas. All das ist in einer idyllischen Landschaft mit weitem Ausblick lebendig und plastisch inszeniert. Elisabeth ratscht mit Joseph. Die Buben spielen mit einem Bändchen, auf dem steht: „Siehe, das ist Gottes Lamm“. Maria schaut versonnen zu. Und im Himmel gaukeln (einst übermalte) Putti.

Bei der viel kleineren „Madonna Tempi“ konzentriert sich Raffael ganz auf die Beziehung von Mutter und Kind. Beide sind uns nahe gerückt; die Landschaft im Hintergrund ist quasi ein Hauch. Maria wird in einen Dreiklang von Blau, Rot und etwas Gelb am Ärmel getaucht. Jesus ist ein verschmustes Bobberl, beide kuscheln Kopf an Kopf – Humorvoll unterstrichen wird die Beziehung mit dem durchsichtigen Schleier, der sich von Marias Scheitel über ihren Ausschnitt bis zum Popo des Bübchens zieht.

„Die Madonna della tenda“ aus Raffaels römischer Zeit ist ebenfalls ein intimes Andachtsbild; nichts für einen riesigen Kirchenraum. Noch viel enger bei uns Betrachtern befinden sich die heiligen Figuren. Wie so oft ist neben Mutter und Jesuskind Johannes zugegen, der später als Erwachsener den Erlöser ankündigen, ihn taufen und ihm in einen gewaltsamen Tod vorausgehen wird. So schwingen in der Harmonie dieser Beziehungen immer die österliche Verzweiflung und Hoffnung mit.

Information:

Die Alte Pinakothek ist wegen der Coronakrise vorerst bis 20.4. geschlossen. Sie zeigt eine kleine Schau um die Andachtsbilder: mit Zeitgenossen von Raffael und mit Friedrich Overbeck, dem Raffael Vorbild war. Einen Eindruck gewinnen Sie unter http://www.pinakothek.de/raffael und https://www.sammlung.pinakothek.de.

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