Ein Hornbrillenwürschtl am Kilimandscharo

von Redaktion

Matthias Polityckis neuer Roman erzählt von einer Reise, die zwei Menschen verändert

VON ANDREAS PUFF-TROJAN

Das Szenario ist überwältigend: der Kilimandscharo – mit seinem 5895 Meter-Gipfel ist er der höchste Berg Afrikas. Dort hat es Hans aus Hamburg hin verschlagen. Der Ich-Erzähler in Matthias Polityckis Romans „Das kann uns keiner nehmen“ will den Berg meistern. Es herrscht reger Bergsteigertourismus und Hans wird in der Camp-Umgebung eine Begegnung mit einem Menschen haben, die sein Weltbild gehörig durcheinanderwirbelt. Gemeint ist „der Tscharli“, ein Bayer aus Miesbach. Doch wie kommt ein solch bayerisches Urviech auf den Kilimandscharo?, fragt sich Hans. Was will ein feiner Herr aus Hamburg hier am Berg?, denkt missmutig jener Tscharli – und nennt ihn ganz bairisch galant „a Hornbrillenwürschtl“.

Bald kommen sich die Protagonisten jedoch näher. Sie haben beide noch eine Rechnung mit Afrika offen: Hans war 25 Jahre zuvor mit seiner Verlobten hergekommen – eine Liebesreise, die im Chaos endete. Tscharli wiederum ist ein echter Afrika-Kenner, hat hier jahrelang als Ingenieur gearbeitet. Die Einheimischen lieben ihn, nennen ihn „Big Boss“ oder „Big Simba“. Sein holpriges Englisch verflicht er mit Bairisch, Kisuaheli und Fantasieworten. Genau diese politische Inkorrektheit öffnet ihm in Afrika Tür und Tor.

Auch Tscharli trägt eine Liebesgeschichte mit sich, die nicht gut ausging und sein Leben prägt. Der Ur-Bayer hat sich mit Aids infiziert, seine Lebenszeit ist begrenzt – oder mit den Worten Tscharlis: „Jetzt geht’s dahin, Hansi.“ Er will in Afrika sterben und noch einmal seine Lieblingsorte auf diesem Erdteil besuchen. Es dauert eine Weile, aber dann wird Hans seinen bayerischen Widerpart auf dieser letzten Reise begleiten. Und dessen Geschichte weist tatsächlich enge Parallelen zu Autor Matthias Politycki auf. Der Impuls für diesen Roman fußt auf einer Jahrzehnte zurückliegenden Afrikareise, die den Schriftsteller beinahe das Leben gekostet hätte.

Dem 64-jährigen Politycki ist mit „Das kann uns keiner nehmen“ ein Kunststück gelungen – Ostafrika mit seinen Bewohnern und der Kilimandscharo geben die grandiose Kulisse dafür ab. Auf der Romanbühne geht es um Menschlichkeit, tragische Liebe, gegenseitiges Verständnis, das sich eben nur einstellt, wenn man über seinen eigenen kleinen Denkhorizont hinausblickt. Das alles ist mit praller Erzählkraft dargestellt und mit einer gehörigen Portion Lebenswitz. Besser kann hoch- und tiefsinnige Unterhaltungsliteratur nicht sein. „Weil’s wahr is“, um mit Tscharli zu sprechen.

Matthias Politycki:

„Das kann uns keiner nehmen“. Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg, 302 Seiten; 22 Euro.

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