Erst im Februar ist er 75 geworden. Nun veröffentlicht Lothar Schirmer, Münchner Kunstsammler, Kunstkenner und Verleger, eine Sammlung eigener Texte. Der Titel „Über meine Künstler“ vereint mehr als 20 Reden, die Schirmer im Lauf der Zeit gehalten hat – bei Preisverleihungen, Ausstellungen, Buchvorstellungen und Jubiläen. Er würdigt Künstler und Schriftsteller, darunter Cy Twombly, Peter Lindbergh, Peter Handke, und die Schauspielerin Isabella Rossellini. Wir sprachen mit Schirmer über die Tücken des Redenschreibens und -haltens.
Was sagen Sie all den Künstlern, die nicht im Buch vorkommen, zum Trost?
Ich sage, dass das alles noch kommt. (Lacht.) Es wird ja auch weiter geredet. Aber wenn ich all die Reden, die ich in unserem Showroom gehalten habe, in ein Buch gepackt hätte, wäre …
… ein Lexikon daraus geworden …
Genau. Und das enzyklopädische Prinzip ist nicht sehr lesefreundlich. Nach meinem Tode kann das ein junger Eleve vom kunsthistorischen Institut gerne als „Schirmers Reden im Laufe der Jahrzehnte“ veröffentlichen. Es selber zu machen, ist völlig unmöglich. Dieses Buch jetzt ist vielleicht der Ausgangspunkt für eine Verlegerautobiografie. Das ist ja das einzige Buch, das ein Verleger wirklich schreiben darf. Doch dafür muss man sich eigentlich als Verleger zurückgezogen haben, damit der Kollateralschaden und -nutzen in Grenzen bleibt.
Wird es eine solche Autobiografie jemals geben?
Das kann schon sein. Wenn es jetzt so weiter geht mit den seuchentechnischen Maßnahmen, dass nicht die Seuche bekämpft wird, sondern erst mal die Buchhandlungen, dann habe ich viel Zeit. (Lacht.)
Besonders für Preisverleihungen, so heißt es im Vorwort, sei es mühselig, Reden zu schreiben. Warum?
Da sitzt eine Jury aus fachgelehrten Leuten im Parkett, die sich auf den Preisträger geeinigt haben. Der Geehrte ist ja auch meist dabei, weil die Leute solche Preise verleihen, um mit den Geehrten in Kontakt zu kommen und sich damit zu schmücken. Und dem muss es ja auch noch wirklich gefallen. Das ist etwas anderes als bei einer Buchvorstellung oder Ausstellungseröffnung.
Für welches Publikum ist es besonders einfach, Reden zu halten?
Am einfachsten ist es für die Presse. Sie benutzt meine Worte nur als Anregung. Meist ist es auch kein Connaisseur-Publikum. Die Journalisten sind dahin geschickt worden, manchmal auch als – sagen wir mal – laienhafte Sportreporter. Ich will jetzt natürlich nicht die Feuilletonisten Münchens beschämen, aber Journalisten werden ja oft ins kalte Wasser geschmissen und müssen schwimmen. (Lacht.)
Welche Rede war für Sie am schwierigsten zu formulieren?
Die Beuys-Rede bei der Ausstellung meiner Sammlung im Lenbachhaus. Beuys ist immer etwas kontrovers, sehr vielfältig in seinen Ansätzen. Dann gibt es bei ihm spezielle Publikumsgruppen. Die Anthroposophen sind alle da, und auch die Materialisten sitzen im Parkett, und jeder möchte seinen Beuys haben. Er ist ein bisschen wie der liebe Gott, von dem jeder eine eigene Vorstellung hat.
Gab es je Kritik an einer Ihrer Reden?
Nein. Im Prinzip ist die Sache ja angelegt, um zu erfreuen. Das teilt sich im reinen Wortlaut der Rede vielleicht nicht so mit. Sie müssen sich beim Lesen des Buchs immer mich vorstellen, der da steht, lächelt und die größten Giftigkeiten mit dem freundlichsten Augenzwinkern der Welt sagt. Es geht ja auch um den Singsang der Stimme, eine Melodie, die sich ergibt. Wenn Sie das in eine schriftliche Form bringen wollen, dann müssen Sie sehr hart arbeiten. In der Regel rede ich nicht frei, davon hat mir meine Mutter abgeraten.
Warum?
Weil man dann nicht mehr so genau weiß, was man sagt. Wenn Sie eine verwegene Fantasie haben, und als Verleger braucht man das, und dieser freien Lauf lassen, können Sie leicht in der Bredouille landen.
Wie lang üben Sie vorher?
Ach, zehn Minuten. Ich lerne es nicht auswendig.
Und wie lange schreiben Sie daran?
Im Prinzip schreibt man schon einen halben Vormittag, je nachdem, wie oft man gestört wird. Am Anfang meines Verlegerdaseins hat das sehr viel länger gedauert. Am Schluss graut einem vor nichts mehr. Zuletzt hatte ich im Showroom ja noch meine Wendeltreppe, die in die erste Etage führte. Da oben stehend hatte ich dann fast schon einen Büttenrednerstatus und fühlte mich auch so. Es fehlte nur die musikalische Akzentuierung. (Lacht.)
Wie weit darf man beim Loben gehen, ohne peinlich zu sein?
Sagen wir mal so: In der Rede auf Wim Wenders lobe ich seine fotografischen Tugenden. Seine Fotografie ist ja still, meditativ. Flaches Land, Horizont, Felder. Und da sagte ich plötzlich: „Ein Hochgebirgsfotograf ist er allerdings nicht.“ Solche Metaphern muss man sich überlegen, damit es beim Publikum, dem Künstler und der Jury ankommt. Wenn man einen Preis verliehen bekommt, dann ja für eine Höchstleistung. Und bei Wenders bestand eben die Höchstleistung in der Darstellung flachen Landes.
Also Sie bauen schon gerne kleine Spitzen ein …
Eine Rede soll bilden und unterhalten. Wer das als Redner nicht berücksichtigt, dem hört irgendwann auch keiner mehr zu.
Ganz besonders ist die Rede über Hannah Schygulla. Sie erinnert an ein Gedicht …
Es ist ein Gedicht.
Warum haben Sie bei ihr diese Form gewählt?
Sie existiert ja gar nicht außerhalb ihrer Rollen. Es war sehr schwierig, das Fassbinder’sche Bild, das wir von ihr haben, mit ihrer Person, so wie ich sie aus dem Alltag und freundschaftlichen Umgang kenne, zu verbinden. Ich habe alles weggestrichten, was zu schwülstig gewesen wäre, und da ist dieses Dingchen übrig geblieben. Die Rede ist allerdings etwas untergegangen. Anlass war der Hessische Filmpreis. Der Saal war gefüllt mit 500 Leuten, es war laut. Das war Perlen vor die Säue. Ihr hat es aber im Nachhinein sehr gut gefallen.
Das Gespräch führte Katrin Hildebrand.
Lothar Schirmer:
„Über meine Künstler. Reden und Vorträge“. Schirmer/Mosel, München. 248 Seiten; 19,80 Euro.