Es ist die renommierteste Auszeichnung für den deutschen Film – doch ihre Verleihung wird Corona-bedingt in diesem Jahr nicht mit einer Gala zelebriert. Nun ja, zumindest nicht mit einer analogen. Gefeiert wird die 70. Vergabe des Deutschen Filmpreises „Lola“ dennoch: Ab 22.15 Uhr strahlt die ARD sie heute Abend im Fernsehen aus. Edin Hasanovic moderiert aus dem Studio, an seiner Seite steht (mit Sicherheitsabstand) Ulrich Matthes, Präsident der Deutschen Filmakademie. Die Preisträger werden aus ihren Wohnzimmern zugeschaltet. Im Telefoninterview erzählt der 60-jährige Matthes, selbst Charakterdarsteller aus Theater und Film („Der Untergang“), warum die Verleihung für ihn ein so wichtiges Zeichen ist. Und fordert, die Filmbranche gerade nicht zu vergessen. Denn die bestehe nicht nur aus hoch bezahlten Schauspielstars.
Die Kulturbranche liegt gerade auf Eis. Haben Sie Sorge, dass die Menschen sich daran gewöhnen und auch nach der Krise lieber Netflix anschauen, als ins Theater zu gehen?
Nein. Ich glaube, dass die Menschen Orte wie das Kino, das Theater, den Konzertsaal oder das Fußballstadion unbedingt für ihr Seelenheil brauchen. Die Kultur ist – um das gerade so häufig gehörte Wort zu nutzen – systemrelevant. So lustig es ist, auf dem Sofa mit der Käsestulle zu sitzen und irgendeine Serie am Stück anzuschauen – Kino kann dadurch nicht ersetzt werden. Es ist ein ander Ding, ob wir uns im Kino mit vielen anderen Menschen gemeinsam einlassen auf ein großes Gesicht, ein großes Gefühl, eine große Landschaft. Das macht etwas anderes mit uns als diese Art von „Ach, wir können auch nebenher weiterbügeln“. Insofern bin ich da vollkommen zuversichtlich.
Es ist interessant: In den Verlautbarungen der Politik zu von der Ausgangssperre betroffenen Bereichen stand nie etwas zur Kultur. Bei der Frage, was unter „Großveranstaltungen“ falle, hieß es als Allererstes: Bierfeste. Aber nie wurden die Wörter Oper oder Theater in den Mund genommen. Prostitution hingegen wurde explizit erwähnt. Zeigt das, wie wenig Wertschätzung für Kultur in unserer Gesellschaft besteht?
Es zeigt vor allem, was die Verfasser der Regelungen in ihrer Freizeit offenbar so alles machen. (Lacht.) Sorry, man darf auch mal einen Witz machen! Gerade in Corona-Zeiten. Auch Witze tragen unbedingt zur Seelenhygiene bei. So ernst die Lage ist.
In jeder Situation?
Ich bin da ein bisschen hin- und hergerissen. Mich erschüttern natürlich die Berichte aus New York, aus Norditalien, über diesen furchtbaren Bolsonaro in Brasilien. Darüber sollte man keine Witze machen, die verbieten sich. Das ist politisch furchtbar, das ist menschlich furchtbar. Auf der anderen Seite ist der Humor, wie man weiß, auch in den schlimmsten Phasen grundsätzlich immer gut, um sich mal zu entlasten. Der Mensch muss sich, wenn er seelisch überleben will, schützen. Sein Immunsystem, indem er sich ab und zu in die Sonne setzt oder Orangen auspresst, und seelisch, indem er ein inneres Gegenmittel zu Corona entwickelt – ganz wesentlich: Humor.
Als Mutmacher. Sie haben eine Mail an alle 2000 Mitglieder der Filmakademie verschickt, um Mut zu machen. Was stand da drin?
Es war eine Geste. Ich hatte einfach das Bedürfnis als derjenige, der gerade zufällig Präsident ist, ein kleines Wort des gedanklichen Unterhakens zu verschicken. Mehr kann es ja nicht sein. Für wirklich sehr, sehr viele in der Branche ist diese Situation existenziell. Weil es sehr viele Selbstständige gibt und dann noch mal das besondere Problem der kurzzeitig befristet Angestellten. Die sind durch das Raster der Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung gefallen. Ich kann nur dringend an die Politik appellieren, diese Spezialtruppe in den Filmproduktionen nicht zu vergessen.
Was können Sie von der Akademie tun, um zu helfen?
Im Moment helfen weniger aufbauende Worte als wirklich explizit finanzielle Hilfe. Darunter, dass die Produktionen alle gestoppt sind, leiden vor allem die vielen, die ohnehin nicht besonders gut verdienen, die nicht fest angestellt sind. Ich bin da privilegiert durch mein festes Engagement am Deutschen Theater Berlin. Deswegen kann ich nur Monika Grütters und Olaf Scholz explizit bitten: Freunde, guckt euch diese Spezialprobleme an! Das ist jetzt vielleicht nicht so sexy zu lesen – für die, die es betrifft, ist es aber existenziell. Ich will gar nicht die Regierung bashen, die machen insgesamt einen guten Job. Aber der Fokus liegt momentan nicht auf den Spezialfällen. Ich bitte darum, mit Ausrufezeichen, auch deren Probleme zu bedenken.
Ist gerade deshalb die Preisvergabe so wichtig? Als Zeichen, dass man die Branche im Blick hat?
Ja. Das Preisgeld kommt ja von der Kulturstaatsministerin, und sie hat sehr früh gesagt, sie sei unbedingt dafür, diesen Filmpreis zu vergeben. Dafür waren wir dankbar. Es ist ein Zeichen der Solidarität in die Branche hinein, des Mutmachens. Es würdigt die herausragenden Leistungen der Filmemacher des vergangenen Kinojahres. Und es ist, wenn ich es ein bisschen pathetisch sagen darf, ein Zeichen dafür, dass das Kino lebt. Dass das Kino auch in Zukunft großartige Leistungen hervorbringen wird, die gewürdigt werden sollen, verdammt noch mal! Ich will uns wirklich nicht für bedeutender halten als andere Berufsgruppen, aber wir haben heute Abend die Gelegenheit, mit bescheidenem Selbstbewusstsein zu sagen: Wir sind stolz auf euch, ihr habt Großartiges geleistet, wir würdigen das, wir freuen uns mit euch. Es ist ein kleines Zeichen der Hoffnung.
Und wie läuft die Gala ab?
Der Abend wird ein bisschen ungewöhnlich sein, eine Mischung aus digital und analog. Der charmante, lustige Edin Hasanovic wird moderieren. Es werden Laudatoren wie Iris Berben oder Charly Hübner oder Jannis Niewöhner im Studio sein, und am Schluss vergeben Monika Grütters und ich die drei Preise für den besten Film. Auf großen Screens werden die Nominierten von ihren heimischen Sofas aus zugeschaltet, die dort aufgeregt Nägel kauen, ob sie nun den Preis kriegen oder nicht.
Das klingt, als könnte es trotz allem sehr launig werden.
Ich hoffe. Es ist zwar ein bisschen weniger glamourös – obwohl, wer weiß, vielleicht schmeißen sich alle in Abendkleidung! Aber Jogginghosen sind auch erlaubt, rote Teppiche wird es ja nicht geben. Ich hoffe, dass in diesem etwas anarchischen Format auch ein kleiner augenzwinkernder Witz liegt. Es wird eine Mischung sein aus Humor und Jux auf der einen und Ernsthaftigkeit auf der anderen Seite. Das schließt sich ja nicht aus.
Und was ziehen Sie an?
Hm. Da ich ja nicht als Uli, sondern als Präsident an der Seite der Kulturstaatsministerin auftrete, werfe ich mich tatsächlich auch, ein bisschen selbstironisch, in meinen Smoking.
Ist doch schön, wieder einen Grund zu haben, sich aufzuhübschen, oder? Man muss gerade jede Gelegenheit nutzen, nicht nur in Homeoffice-Klamotte herumzulaufen.
Ja, stimmt, während ich mit Ihnen telefoniere, habe ich tatsächlich die zu Tode zitierte Jogginghose an und ein graues T-Shirt. Ich habe mich für den „Münchner Merkur“ nicht extra schick gemacht. Ich hoffe, Ihre Leserinnen und Leser sehen mir das nach. (Lacht.)
Das Gespräch führte Katja Kraft.