Diese Schau zieht an

von Redaktion

AUSSTELLUNG Die Kunsthalle eröffnet wieder mit großartiger Thierry-Mugler-Retrospektive

VON KATJA KRAFT

Was für ein elegantes Spitzenkleid. Das soll von Thierry Mugler sein? Ist ja fast schon züchtig. Wer näher herantritt, erkennt den Clou: Das ist kein Garngeflecht, das ist Latex. Typisch Mugler. Der französische Mode-Revoluzzer liebt das Spiel mit Details, die aus einem klassischen Kostüm eine modische Provokation machen. Es muss dem Couturier, der in den frühen Siebzigerjahren begann, die Szene aufzumischen, eine diebische Freude sein, seine vogelwilden Ideen umzusetzen. In Haute-Couture- und Prêt-a-porter-Entwürfen, in Accessoires, in Fotografien, in (Musik-)Videos – Thierry Mugler, ein Gesamtkunstwerkler.

Das Virus hat es so gewollt, dass die große Retrospektive seiner Werke aus den Jahren zwischen 1977 und 2014, die bereits im Montréal Museum of Fine Arts zu sehen gewesen ist und ursprünglich ab 3. April in der Kunsthalle München hätte gezeigt werden sollen, nun erst am Montag dort Premiere feiert. Doch nach diesen Wochen des ungeduldigen Wartens auf das Ende des Lockdowns muss man sagen: Einen glorreicheren, lebensbejahenderen, kraftstrotzenderen Beginn als diese Schau hätte man sich in der Ausstellungshalle in den Fünf Höfen gar nicht wünschen können.

Jedes der mehr als 150 Werke scheint zu rufen: Schau! Mich! An! – Aber! Bitte! Genau! Wer’s tut (und man kann gar nicht anders, als vor jedem Einzelnen neugierig stehenzubleiben), wird verzückt lauter kleine Raffinessen entdecken, die zeigen, warum dieser Mugler ein Mode-Genie ist.

Man muss sich das mal vorstellen: Als in den Siebzigern Bohèmien-Looks dominierten, kam der heute 71-Jährige daher und setzte den wallenden Hippie-Klamotten seine futuristischen und extrem körperbetonten Kunstwerke entgegen. „Zerbrechliche, schöne Geschöpfe“ nennt der ausgebildete Balletttänzer die Menschen. Seine Kleider machen sie zu unantastbaren Superheldinnen und Superhelden, zu Sternenstaub-funkelnden Paradiesvögeln, zu siegessicheren Amazonen. Gerade die Frauen. Stars wie Beyoncé oder Liza Minnelli wissen das zu schätzen. Ihnen näht Mugler auf einen flatterigen Glitzer-Hauch von Nichts aus Kunststoff gegossene Eiszapfen – elegant und entwaffnend zugleich. Dann wieder amüsiert er mit einem hochgeschlossenen Kostüm, allein: Am Hinterteil fehlt jede Form von Stoff. Unter dem Popöchen dafür eine hübsche schwarze Schleife. Und darüber Perlenketten. Das perfekte Dekolleté – nun ja, nur eben auf der Hinterseite. Sexistisch? Im Gegenteil. Dieser Designer gibt den Trägerinnen und Trägern seiner Kunst die Möglichkeit, selbstbewusst zu schillern. „Er ist so extrem, dass diese Frauen keine Sexobjekte sind, sondern Sexsubjekte“, findet die Feministin Linda Nochlin.

Die Kuratoren Thierry-Maxime Loriot, Nathalie Bondil und Nerina Santorius bieten diesen außergewöhnlichen Kostümen eine Spielfläche. Ganz so, wie es Mugler gefällt, der über sich selbst sagt: „Meine einzig wahre Berufung ist die Bühne.“ Der letzte Raum etwa: Die fantastischen Kreationen, bei denen sich der Designer von Meerestieren, Vögeln und Insekten hat inspirieren lassen, sind von einer Animation umrahmt. Fische ziehen auf den Leinwänden ihre Bahnen, Vogelgezwitscher tönt durchs Zimmer. Als Besucher taucht man ab, wandelt von einer Modepuppe zur nächsten – staunend, fasziniert, elektrisiert. Sie wollen sich wieder einmal so richtig sattsehen? Hier gibt’s Futter. In jeder Hinsicht köstlich.

Bis 30. August,

täglich 10-20 Uhr. Katalog, Phaidon Verlag: 79 Euro.

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