Die Mutmacherin

von Redaktion

Heute wird die große Regisseurin und Wahl-Münchnerin Doris Dörrie 65

VON KATJA KRAFT

Tünt sie jetzt, oder ist das wahr? Tünen, so nannte man in Doris Dörries Familie harmloses Lügen. Richtiges Lügen war verboten. Aber übertreiben, ausschmücken, hemmungslos und voller Freude – das war okay. Weil ihr kreativer Vater (Ein Psychotherapeut attestierte ihm als Kind eine wilde Fantasie, die sich aber auswachsen werde. Dörrie: „Hat sie zum Glück nie.“) sie und ihre drei Schwestern früh gelehrt hatte, dass, wer ein bisschen tünt, die noch besseren Geschichten erzählen kann.

Hat sie also wirklich als junge Frau 89 Minuten vor dem Kino im Schnee getanzt, Walkman-Hörer auf und Van Morrison in den Ohren? Zu aufgeregt, hineinzugehen, weil da gerade die Premiere ihres ersten Films lief? Ausgerechnet Doris Dörrie, die in der dritten Klasse bei einem Vorlesewettbewerb den ersten Preis gewinnt und erkennt: „Ich bin eine Rampensau“? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Die Vor-dem-Kino-Tanz-Geschichte hat sie in ihrem jüngsten Buch „Lesen Schreiben Atmen“ notiert. Wer es liest, erfährt viel über die private Seite der Autorin, Regisseurin und Feministin, die heute ihren 65. Geburtstag feiert.

Wer ihre Filme wie „Männer“, „Bin ich schön?“, „Der Fischer und seine Frau“, „Kirschblüten – Hanami“ oder „Grüße aus Fukushima“ ansieht, aber auch. Weil da immer ganz viel Doris Dörrie drinsteckt. Ganz viel Seele, ganz viel Lebensklugheit, ganz viel Liebe für ihren Sehnsuchtsort Japan, aber auch: Witz, ungeheurer Sinn für die Wirkung von Sprache – und von Schweigen; dann die unprätentiöse Hannoveraner Mentalität der Wahl-Münchnerin, zuzupacken und nichts zu geben auf die Unterscheidung Mann/Frau. Das sollte, das findet die Feministin in ihr, doch keine Rolle spielen. Trotzdem oder gerade deswegen setzt sie sich für eine Frauenquote etwa bei der Vergabe von Regie-Jobs ein.

„Ich habe nie irgendwo reingepasst, ich war immer zwischen den Stühlen“, sagte sie einmal in einem Interview. Das stimmt. Dörrie ist die, die ganz oben mitspielt im Filmgeschäft, die beim Deutschen Filmball immer am Tisch bei den begehrtesten Schauspielstars sitzt. Nicht am Ende des Saals hin zu den Toiletten, sondern mittig, wo jeder vorbeimuss, wenn er zur Tanzfläche will. Keine Premierenfeier, auf die sie nicht eingeladen ist. Doch wenn sie kommt, dann nicht im faden schwarzen Abendkleid. Je bunter die Kostüme, desto besser. Brille, Schmuck und Tasche immer aufeinander abgestimmt. Wie ein Paradiesvogel fliegt Dörrie durch die Glitzerwelt – und ist doch eine der Bodenständigsten von allen hier.

Immer hat man bei ihren Filmen und Büchern das Gefühl, dass sie, in der es ständig arbeitet, all das, was sie für sich verstanden hat, an andere weitergeben möchte. „Zuversicht ist ein schönes Wort“, schreibt sie einmal. Auch wenn es ihr selbst nicht immer so leicht über die Lippen kommt. Ihren Mann Helge Weindler, Vater von Tochter Carla, verlor sie 1996 durch eine Hirnhautentzündung. Bei jedem Schicksalsschlag half und hilft ihr das Schreiben, das Drehen, das Weitermachen. Was passiert, wenn sie hineinschwingt in diese kreativen Sphären? „Man taucht ab in das eigene Leben. In das Leben, das man wirklich hat, nicht das, das man sich vielleicht wünscht. Man ist mit einem Mal dort, wo einem niemand zuschaut. Ganz bei sich. Ruhig weiteratmen! Weiterschreiben. Weitermachen. Jeder Tag ist ein guter Tag. Ha!“

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