600 bis 700 Besucher in der lückenhaft besetzten Münchner Philharmonie, rund 300 in der Bayerischen Staatsoper, 160 im Residenztheater – mit dem gestrigen Tag sind alle diese guten Hoffnungen vorerst dahin und entsprechende Konzepte Makulatur. Der Freistaat Bayern fährt sein Kulturleben nur unter äußerst restriktiven Vorgaben hoch. Ab 15. Juni 50 Besucher drinnen und maximal 100 bei Freiluft-Veranstaltungen, das ist viel weniger als erwartet. Zumindest für den Juni – ob danach mehr möglich ist, entscheidet die Scheibchentaktik der Staatsregierung.
Gut möglich also, dass noch in dieser Saison Konzerte oder Theater- und Opernaufführungen vor größerem Auditorium möglich sind. Kunstminister Bernd Sibler (CSU) sprach gestern von möglichen 350 Besuchern, die in den Häusern zugelassen werden könnten. Das wäre noch immer weit unter dem Konzept, das Gasteig-Geschäftsführer Max Wagner für seinen großen Saal vorlegte. Zugleich deutete Sibler an, dass unter freiem Himmel bis zu 500 Gäste möglich sein könnten.
Bayerns restriktive Öffnungspolitik wird nur vom Land Berlin übertroffen. Berlins Bürgermeister und Kultursenator Klaus Lederer (Linke) sagte im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses, dass er nicht in die Konkurrenz mit jenen Bundesländern eintreten werde, die konkrete Daten für die Eröffnung der Theater und Konzerthäuser festlegen. In Berlin gilt bis 31. Juli für Live-Darbietungen in geschlossenen Räumen weiter der Lockdown. Lederer nannte den Wettstreit ums Hochfahren des Kulturbetriebs „verantwortungslos“. In NRW, Hessen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Baden-Württemberg wird dagegen ein stark eingeschränkter Spiel- und Probenbetrieb wieder möglich sein.
Etwas lockerer im Doppelsinn wird alles in Österreich gesehen. Wie berichtet, dürfen dort die Salzburger Festspiele einen sehr reduzierten, dennoch überraschend umfangreichen Spielplan anbieten. Ab August sind dort Veranstaltungen mit bis zu 1000 Besuchern möglich. Dabei gilt die Regel: entweder einen Meter Abstand oder ein Sitzplatz frei. Die Plätze in den Sälen könnten also nach Schachbrettmuster besetzt werden. Dafür ist allerdings ein Mund-Nasen-Schutz erforderlich. „Ich denke mir, halbwegs gute und gut besuchte Veranstaltungen mit Maske sind besser als fast leere Säle mit weit auseinandersitzenden Gästen ohne Maske“, sagte die österreichische Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer von den Grünen.
Die Folge: Der Wiener Musikverein und die dortige Staatsoper wollen bereits im Juni mit kleinem Programm den Neustart wagen. Und Burgtheaterdirektor Martin Kušej teilte der Agentur APA mit: „Die angekündigten Lockerungen beziehungsweise Rahmenbedingungen für den Probenbetrieb sind ein wesentlicher Schritt, um auf eine Wiedereröffnung des Burgtheaters im September hinzuarbeiten.“
Wesentlich besser als die Theater und Konzerthäuser dürften mit der vorsichtigen bayerischen Öffnungspolitik die Kinos zurechtkommen. Meint man. Denn ganz so einfach ist es nicht. „Wir freuen uns natürlich riesig, dass wir wieder öffnen dürfen“, kommentiert gestern Justine Kirschner, Theaterleiterin der Astor Film Lounge im Arri München, die Ansage, dass die Lichtspielhäuser ab 15. Juni ihre Türen öffnen dürfen. Und doch wird man in ihrem Haus noch warten. Warum das? „Weil wir eine gemeinsame Wiedereröffnung Bundesländer-übergreifend anstreben. Alleingänge bringen niemandem etwas. Denn auch für die Verleiher lohnt es sich ja nur, wenn die Filme in vielen Kinos starten“, erklärt Kirschner.
Die Astor Film Lounge visiert momentan den 25. Juni als Eröffnungstermin an – den offiziellen Kinostart vom mehrfach ausgezeichneten und heiß ersehnten „Berlin Alexanderplatz“. Sollten sich bis dahin nicht alle Bundesländer zur Öffnung entschlossen haben, wartet man in der Türkenstraße 91 weiter ab. „Gemeinsam mit den Kinobetreibern anderer Bundesländer haben wir alternativ den 2. Juli als Datum gesetzt. Und dann alle gemeinsam. Auch als Signal an die Zuschauer, dass es nun wieder richtig losgeht.“
Als Laie stellt man sich die Frage, ob 50 Zuschauer im Saal überhaupt reichen, damit sich eine Vorführung finanziell rentiert. „Wir machen bei jedem unserer 31 Kinos in Deutschland eine Wirtschaftlichkeitsprüfung. Und bisher kann ich sagen: Überall, wo bereits mit reduzierter Zuschauerzahl geöffnet werden durfte, haben wir es getan“, sagt Ingrid Breul-Husar, Sprecherin der Cinemaxx-Häuser. Und so wollen sie es auch in den bayerischen Spielstätten der Kette in Augsburg, München, Würzburg und Regensburg ab 15. Juni tun.
Wie genau der Betrieb dann ablaufen wird, kann Breul-Husar noch nicht verbindlich sagen, auch sie als Betreiber haben erst gestern die neuen Regularien erhalten. Die müssten jetzt durchgearbeitet werden. Generell setzten sie aber in allen Cinemaxx-Kinos darauf, dass der geforderte Mindestabstand von 1,5 Metern zu den nächst buchbaren Sitzplätzen gewährleistet ist. Keine Sorge: Der beliebte „Love Chair“ bleibt erhalten – Pärchen dürfen auch in Corona-Zeiten im Kino weiter schmusen. Der Ticketkauf verläuft online, die Kontrolle kontaktlos. „Die Startzeiten der Filme werden von uns so geplant, dass wir auch im Foyer den Mindestabstand sicherstellen können“, betont Breul-Husar. Die hat sich als Pressesprecherin für Gesamtdeutschland in den vergangenen Wochen unfreiwillig in ein Themengebiet hineingefuchst, das ihr früher gar nicht lag. „Ich kann nur sagen: Wer Föderalismus in der Schule nicht verstanden hat, der versteht’s jetzt für alle Zeit“, sagt sie lachend.