Hautnah am Tod

von Redaktion

Donna Leons 29. Brunetti-Kriminalroman „Geheime Quellen“ erscheint heute

VON SIMONE DATTENBERGER

„…an diesem Nachmittag Ende  Juli“ heißt: Venedig von seiner ekelhaftesten, unerträglichsten Seite zu erleben, nein, zu überleben. Man zieht den Luft-Schleim mühsam in die Lungen, schwimmt im eigenen Schweiß, wird auf den breiten Steinplatten wie ein Spiegelei gebraten und anschließend in Klimaanlagen-Räumen schockgefrostet. Commissario Guido Brunetti und seine aus Neapel stammende Kollegin Claudia Griffoni schleppen sich in diesem Zustand durch die Stadt. Es stinkt, weil ein Baggerschiff gerade einen Kanal säubert. Ungeheuer wichtig, aber es geschieht viel zu selten, wie Brunetti resigniert feststellt. Dass es stinkt in der Serenissima, meint Donna Leon in ihrem neuen Kriminalroman, „Geheime Quellen“, auch im übertragenen Sinn.

Länger schon hat sich die gebürtige US-Amerikanerin (Jahrgang 1942), die nicht mehr in Italien, sondern in der Schweiz lebt, vom üblichen Fall-Aufklären verabschiedet. Selbst wenn es einen Mord gibt – ist er das wirklich gravierende Verbrechen? Bei Brunettis „neunundzwanzigstem Fall“ gibt es – wieder einmal – zunächst gar keinen. Nur die Bitte einer Sterbenden, mit der Polizei sprechen zu wollen. Signora Toso, Witwe, zwei Töchter, vom Krebs zerfressen, wird im Hospiz umsorgt. Nur unter Qualen und voller Misstrauen sagt sie aus. Sie denkt, dass der Motorradunfall ihres Mannes Mord sei, stammelt etwas von „schlechtem Geld“ und „Ergebnissen“. Und bevor sie alles erklären kann, stirbt sie unter Brunettis Händen, der sie reanimieren wollte. Beide Kriminalbeamte stürzen in die schmerzhafte Ratlosigkeit, den die Hautnähe des Todes auslöst.

Donna Leon schildert so einfühlsam wie unsentimental die Menschen in jener Welt des Sterbens: die Selbstironie der dicken Ärztin, der heitere Pfleger, die Großzügigkeit im Hospiz, dass ein Zamperl gegen die Hygiene zu seinem Fraule sausen darf und das Sterben selbst, das sich auf Körper und Gesicht von Benedetta Toso malt. Genau das ist für Griffoni und Brunetti Ansporn, den Andeutungen der Toten mit aller Kraft nachzugehen. Und die ist nötig, denn Anhaltspunkte gibt es fast keine. Unterstützung kommt, wie von jedem Brunetti-Krimi-Leser erwartet, natürlich von den bewährten Helfern Signorina Elettra und Sergente Vianello. Sie die Virtuosin der Internet-Recherche, wobei vor ihr selbst Geheimseiten nicht sicher sind; er ein Meister der Harmlosigkeit, in deren Schlinge sich schon so mancher Befragte verfangen hat. Dieses Team leistet mühselige Polizeiarbeit. Die Schriftstellerin kostet sie aus, mutet sie uns zu – freilich stets so entspannt-spannend geschrieben, dass man immer weiter umblättern muss.

In dem Moment, in dem der getreue Leon-Fan erfährt, dass  Tosos Mann Fadalto Wasserbauingenieur war, schwant ihm: Es geht sicher wieder um ein Lieblingsthema der Autorin, den Umweltschutz. Und so ist es. Fadalto, ein rechthaberischer Mensch, aber liebevoller Ehemann, war bei einer Prüffirma engagiert. Er und Kollegen kontrollierten auf dem Festland das Wasser auf Verunreinigungen und Gifte – Wasser, das auch nach Venedig fließt. In dem Zusammenhang wird die Julihitze über der Lagunenstadt, die Klimaerhitzung unseres Globus zum drohenden Signal. Es macht deutlich, dass das für uns so selbstverständliche Wasser nicht selbstverständlich ist – aber lebensnotwendig. In diese Zusammenhänge setzt Donna Leon ein Geflecht von Gier und Skrupellosigkeit, Anstand und Not.

Erneut bleibt Commissario Brunetti hilflos zurück. Er weiß zwar Bescheid, kann indes die Hintermänner nicht fassen. Da ist die Aufklärung eines Mordes ein schwacher Trost. Dieser liegt wie stets bei Donna Leon nur in liebevollen familiären und freundschaftlichen kollegialen Kontakten. Und in gutem Essen, selbst wenn’s nur ein paar Tramezzini sind.

Donna Leon:

„Geheime Quellen. Commissario Brunettis neunundzwanzigster Fall“. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Diogenes Verlag, Zürich, 316 Seiten; 24 Euro.

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