Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, Alice Sara Ott, der Chef selbst fünfmal im Einsatz: Trotz Krise lockt das Festival im niederösterreichischen Grafenegg mit einer beeindruckenden Künstler-Riege. Pianist und Intendant Rudolf Buchbinder (73), gerade für ein Stream-Konzert bei den Münchner Philharmonikern aktiv, hat mit seinem Team für die Freiluft-Bühne des „Wolkenturms“ ein Ersatzprogramm aufgestellt, das von über 1000 Zuhörern verfolgt werden kann. Das geschrumpfte Festspiel zwischen Wachau und Wien dauert vom 14. August bis zum 6. September.
So, wie es ausschaut, werden Sie eines der größten Festivals dieses Sommers bieten können…
…vor allem waren wir die Ersten, die gesagt haben: Wir finden trotzdem statt. Wir haben nicht einfach nur abgewartet, sondern die Initiative ergriffen. Wobei wir mehrere Vorteile haben: Es gibt in Grafenegg keine szenischen Aufführungen. Alles beginnt erst Mitte August. Und wir sind ein Open Air. Der Nachteil ist, dass es kein Ausweichquartier gibt. Bei Regen lassen wir das Konzert ausfallen, wir können nicht in unseren tollen Saal ausweichen.
Wie verhält sich Ihr Publikum? Wie viele gaben Karten zurück?
Wir erstatten alles zurück und starten quasi einen neuen Vorverkauf. Diejenigen, die zuvor Karten erworben haben, werden zuerst gefragt, ob sie zum veränderten Programm kommen wollen. Ich glaube, dass es dafür eine große Nachfrage gibt. Wir können 1250 von insgesamt 2100 Plätzen anbieten. Mit Übertragungen auf Leinwände werden wir vielleicht den Schlosspark noch stärker nutzen und mehr Picknick-Zuhörerplätze schaffen. Trotzdem wird das Festival in diesem Jahr sicher ein Verlustgeschäft sein.
Ist Grafenegg also gefährdet?
Nein, das Land Niederösterreich steht voll hinter uns. Und ich glaube, erstmals bekommen wir auch eine Summe vom Bund – eine kleine. Nun ja…
Von den Gästen her gesehen wirkt alles wie eine Außenstelle der Hauptstadt.
Das stimmt, es kommen die vier Wiener Orchester. Die Philharmoniker, die Symphoniker, das Radio-Sinfonieorchester und das Tonkünstler-Orchester. Ausländische Ensembles einzuladen, war so gut wie unmöglich.
Hatten Sie Angst vor der Total-Absage?
Überhaupt keine. Es gab seitens der politischen Entscheidungsträger auch keine Bedenken, weil wir uns ja vom Konzept her genau an die Vorschriften halten. Und dies, obwohl in der Politik zu Beginn der Pandemie kein Mensch über Kultur gesprochen hat. Wir fühlten uns im Stich gelassen, die Kultur war das Allerletzte – und das, obwohl Österreich von der ganzen Welt um seine kulturellen Schätze beneidet wird. Dazu passt: Zu meiner Schulzeit musste man sich irgendwann entscheiden, ob man Musik oder Zeichnen wählt. Genauso geht es jetzt meinem Enkel, der in die siebte Klasse kommt. Entweder, oder – eine Schande für unser Kulturland.
Es heißt immer, aus der Pandemie werde man viel Positives mitnehmen.
Haben die Menschen jemals aus der Geschichte gelernt?
Spürten Sie Ängste, als Sie mit den Künstlern verhandelten wegen eines Auftritts in Grafenegg?
Nein. Wir wollen doch alle spielen und singen. Mein letztes Konzert vor dem Lockdown war am 11. März in Moskau, der letzte Abend eines Zyklus mit Beethoven-Sonaten. Mir sind rund 45 Konzerte weggebrochen. Trotzdem ging’s mir irgendwie gut. Ich hatte Zeit zum Arbeiten, zum Lernen und zum Entspannen. Ich vermisste auch das Reisen nicht. Ich spürte nicht den geringsten Stress.
Das können Sie?
Ich genieße das. Umso mehr freute ich mich aufs Podium. Ich hatte auch keine Angst vor dem Virus. Als Künstler, gerade als freischaffender, muss man Optimist sein. Man muss lernen, leben zu können. Trotzdem bedaure ich diejenigen unendlich, die gerade um ihre Existenz kämpfen. Und damit meine ich auch andere Berufsgruppen wie zum Beispiel Bühnenarbeiter.
Wie geht es einem Beethoven-Spezialisten wie Ihnen, wenn das Beethoven-Jahr fast komplett ins Wasser fällt?
Na ja, ich spiele nicht nur Beethoven. Aber ich werde auch nach der Krise weiter seine Werke aufführen. Beethoven wird Corona überleben. Ich glaube sogar, dass die Kultur einen neuen Aufschwung erleben wird, vielleicht auch mit anderen Formaten. Das Negative allerdings: Viele Veranstalter und Agenturen wird es dann nicht mehr geben. Wenn nur die großen übrig bleiben, werden es junge Musiker schwer haben.
Was haben Sie am stärksten vermisst?
Familie und Freunde. Unsere Kinder sind ja militant. Sie haben meiner Frau und mir strengstens verboten, irgendetwas zu unternehmen. Wir durften nicht einmal einkaufen gehen.
Und haben Sie sich darüber hinweggesetzt?
Wir hatten Angst vor den Kindern. Aber auch diese konnten wir bewältigen.
Das Gespräch führte Markus Thiel.
Informationen
zum Programm und zum Vorverkauf unter
www.grafenegg.com.