Im Bett mit dem Tod

von Redaktion

Lässig auf der Zielgeraden: Bob Dylans Meisterwerk „Rough and rowdy Ways“

VON JOHANNES LÖHR

Bob Dylan und das Alter, das ist ein Thema für sich. In seinen Anfangstagen sang er seine Lieder so ernst und unmodern, dass sie auch aus dem 19. Jahrhundert hätten stammen können. Wenig später war er so sehr auf der Höhe des Zeitgeists, dass er fand, er sei viel jünger als früher („My Back Pages“). Und heute, mit 79 Jahren, singt er auf seinem 39. Album „Rough and rowdy Ways“: „Ich kann mich nicht an meine Geburt erinnern – und ich habe vergessen, wann ich sterbe.“ Fazit: Bob Dylan ist „forever young“.

Dass es diesmal das letzte Album sein könnte, ist also nicht gesagt. Schon 1997 wähnte man Dylan auf der Zielgeraden, angesichts der düsteren Weltsicht von „Time out of Mind“. Er machte stoisch weiter. 15 Jahre später wurde es für Dylan-Fans dann endgültig brenzlich: „Tempest“ hieß das jüngste Album. Mit dem Drama „The Tempest“ („Der Sturm“) hatte William Shakespeare anno 1611 seinen Abschied von der Theaterbühne angekündigt, indem er die Hauptfigur, den Zauberer Prospero, seiner magischen Kunst abschwören ließ. Das fürchtete mancher Dylan-Verehrer nun auch für den knurrenden Song-Magier.

Und tatsächlich hat Dylan seit 2012 kein Album mit eigenen Songs mehr veröffentlicht. Er sang lieber Standards aus dem großen US-amerikanischen Liederbuch, wie einst bereits Frank Sinatra. Obwohl man Dylan 2016 den Nobelpreis verlieh, fürchteten nicht wenige, die wichtigste Knödelstimme der Popgeschichte sei vom Elfenbeinturm ins Austragshäusl der Belanglosigkeit umgezogen.

Dann schlug Anfang April dieses Jahres „Murder most foul“ ein, ein Ungetüm von einem Song. In 17 Minuten beschrieb der Liedermacher die Ermordung John F. Kennedys und brachte – in bester Dylan-Manier – zudem noch ein Spalier unzähliger Persönlichkeiten im Text unter: von Thelonious Monk bis zu Don Henley und Glenn Frey von den Eagles. Endzeitstimmung prägt das Riesenstück, was es nicht davon abhielt, Dylans erster Nummer-eins-Hit überhaupt in den US-Billboard-Charts zu werden.

Auf dem Album ist die Sterblichkeit allgegenwärtig – etwa im Eröffnungsstück „I contain Multitudes“ in der wuchtigen Zeile: „I sleep with Life and Death in the same Bed.“ Die Musik: ein summender Klangteppich aus Gitarren. Auf der gesamten 70 Minuten dauernden LP spielt die Band um Charlie Sexton den patentierten Sound später Dylan-Platten: rauen Blues-Shuffle und Jazz-Swing, stets gekonnt, nie angeberisch.

Textlich bedient sich der Songwriter wieder mal bei allem und jedem. Diese Herangehensweise – Douglas Brinkley nennt sie in der „New York Times“ „lyrischen Kubismus“ – treibt mitunter seltsame Blüten. Etwa wenn Anne Frank, Indiana Jones und die Rolling Stones in ein und derselben Zeile auftauchen. Dylan selbst vergleicht seine Art zu schreiben im Interview mit Brinkley mit der Malerei. Wenn man bei einem Bild nur die Einzelteile betrachte, sehe man nicht das große Ganze. „Ich denke über den Tod der menschlichen Spezies nach. Die lange, seltsame Reise des nackten Affen.“

Er schaffe seine Songs wie in Trance, erklärt er. „Sie schreiben sich irgendwie selbst und zählen darauf, dass ich sie singe.“ Und der Mann, der für sein Krächzen gefürchtet ist, singt ausgesprochen schön auf dieser LP. Die Balladen „I’ve made up my Mind to give myself to you“ und „Key West (Philosopher Pirate)“ sowie der Gospel „Mother of Muses“ geraten geradezu zärtlich.

Wie aktuell Bob Dylan ist, zeigt das monumentale „Murder most foul“, das den Bogen schlägt von der gesellschaftlichen Zerrissenheit der Sechzigerjahre bis zur Gewalttätigkeit von heute. Der Mord an George Floyd in seinem Heimatstaat Minneapolis habe ihn schockiert, sagt Dylan, der in „The Lonesome Death of Hattie Carroll“ bereits vor fast 60 Jahren davon berichtet hatte, wie wenig ein schwarzes Leben in den USA zählt.

So bleibt bei Bob Dylan letztlich alles wie immer. Und trotzdem ist „Rough and rowdy Ways“ ein Resümee – wenn auch kein bitterernstes: Denn es spricht ja nichts dagegen, dass man drei Meilen nördlich des Fegefeuers noch ein paar Mädchen küsst, wie er in „Crossing the Rubicon“ singt. Und er hat eh nicht vor, sich so bald vom Acker zu machen. Die Beerdigung könne noch warten, raunzt er in „False Prophet“: „I’m the Last of the Best – you can bury the Rest.“ Der alte Draufgänger.

Bob Dylan:

„Rough and rowdy Ways“

(Sony).

Dylan bedient sich textlich bei allem und jedem

Küsse drei Meilen nördlich

des Fegefeuers

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