Ein Musiker steht auf einer Bühne, auf der er gar nicht steht. So stellt sich Frankreichs Elektronikpionier Jean-Michel Jarre die Zukunft von Konzerten vor. Und diese Zukunft hat am Sonntagabend begonnen. Denn da hat Jarre das erste live übertragene Konzert in der virtuellen Realität gegeben. Geschätzte 600 000 Menschen schauten Corona-gerecht und kostenlos im Internet zu, wie der 71-Jährige als computeranimierte Figur 40 Minuten lang seine Hits spielte – und wie vor der Bühne (die es nicht gab) Frankenstein, zwei Tiger, eine hüpfende Karotte und eine lebende Milchflasche tanzten.
Seit seinen legendären Alben „Oxygène“ von 1976 und „Equinoxe“ von 1978 hat JMJ die ungewöhnlichsten Konzerte gegeben – in der Verbotenen Stadt in Peking, oder mitten in einem dänischen Windpark. Die virtuelle Realität war aber auch für ihn neu. „Ich sehe Euch in der Matrix“, kündigte Jarre vor dem Konzert an. Er selbst stand während der 40-minütigen Show mit seinem Synthesizer-Maschinenpark in seinem Studio im Pariser Vorort Bougival und spielte live vor allem Tanzbares wie „Oxygène 19“ oder „Stardust“. Sensoren und Kameras übertrugen seine Bewegungen auf einen goldmetallisch glänzenden Jarre-Doppelgänger, der mitten in einer psychedelisch bunten Fantasiewelt zu sehen war.
Ist er Mensch, oder ist er Maschine? Die Grenzen verliefen fließend, Jarre verschmolz endgültig mit seinen Synthies. Technisch lief nicht alles glatt, auch virtuelle Konzerte können eine halbe Stunde Verspätung haben. Und als Jarre die Zuschauer aufforderte, „Macht mal Lärm“, blieb das Publikum stumm – weil ja nur Computerfiguren zu sehen waren. Bei einer Übertragung zur „Fête de la Musique“ in Paris standen aber echte Menschen vor der Leinwand, Kulturminister Franck Riester tanzte mit Datenbrille mit. Insgesamt hat der virtuelle Jean-Michel Jarre ebenso fasziniert wie amüsiert. Und vor allem die angestaubte Grafik wie aus einem Neunzigerjahre-Videospiel hatte etwas Tröstliches: Echte Konzertbesucher sind vorerst nicht durch tanzende Karotten zu ersetzen.
Das virtuelle Konzert
auf Youtube: bit.ly/jmj-live.