„Dornröschenschlaf“ vorbei? Zumindest darf sich das Bayerische Staatsballett nun wieder vor Publikum im Nationaltheater präsentieren, wenn auch vorerst in kleinen Schritten und immer noch Corona-abgesichert mit übrigens vorbildlichen Hygienemaßnahmen. Auftakt war letzthin eine neoklassisch ausgelotete Tango-Schöpfung von Maged Mohamed für zwei Tänzer im großen Ballettsaal (wir berichteten). Jetzt, für den „Festen Samstag III“, hat Andrey Kaydanovskiy den 30-Minüter „Petit Pas“ kreiert: für die große Bühne und immerhin mit fünf Staatsballett-Mitgliedern!
Allerdings sind sie räumlich eingeschränkt auf ihrem schmalen, leicht erhöhten Podest nahe der Rampe. Denn die 50 zugelassenen Zuschauer, die sich mit ballettomaner Telefon-Ausdauer ihre Karten regelrecht erkämpften, sind ebenfalls auf der Bühne platziert – gleichsam Mitverschworene gegen das Virus. Parkett und Ränge, matt erleuchtet, liefern frei Haus das imposante Bühnenbild für diese Kurzkreation.
Der 33-jährige Russe, international bereits viel beschäftigt, gewann durch seine hintersinnigen Tanz-Krimis fürs hiesige „Junge Choreographen“-Programm die Wertschätzung von Staatsballettchef Igor Zelensky, der ihn zu Saisonbeginn fest in sein Ensemble holte. Kaydanovskiys wortspielerischer Titel „Petit Pas“ verweist nun auf eben diesen Krisen-bedingten ersten „kleinen Schritt“, erarbeitet in gerade mal zwei Wochen. Gleichzeitig beschwört er den Meisterchoreografen Marius Petipa mit seinen Klassikern „Schwanensee“, „Dornröschen“ und „Nussknacker“. Und dies vor allem mit den jeweiligen Tschaikowsky-Kompositionen, leider nur vom Band. Einmal jedoch hören wir Tschaikowsky live von Anna Buchenhorst fingerflink am Flügel. Und ein Damenchor, getarnt als staubwedelnde Putzkolonne in den Rängen, schickt weihnachtlich süße Stimmen in den hohen Raum. Augenzwinkernd – so kennt man den immer auch theaternahen Kaydanovskiy.
„Social Distancing“ ist ja die neue Corona-Realität. Also tanzen das hier Marta Navarrete Villalba und Matteo Dilaghi, er in grauem Herrenanzug und mit Mund-Nasen-Schutz: Ein sich vorwagender Fuß provoziert einen abwehrenden Arm; eine turnerische Figur über einen Stuhl jagt den Partner in die Flucht. In dieser Art „fern-konferieren“ die beiden eine Weile. Ein paar mehr und noch tiefer gehende „Abstands-Ideen“ wären schön gewesen. Denn gerade die durch die Virus-Gefahr auferlegte körperliche Distanz könnte zu neuartigen choreografischen Formen inspirieren.
Aber schon tänzeln Elisa Mestres in weißem Trikot und Jeanette Kakareka in schwarzem über die Laufsteg-Bühne, neoklassisch-modern im Bewegungsmodus. Und schließlich kommt es doch zu näherem Körperkontakt in den akrobatisch verschlungenen Pas de deux mit Matteo Dilaghi und Jinhao Zhang. Der technisch versierte Chinese serviert dabei seine Virtuosität, Kaydanovskiy-gerecht, mit pointiert ironischem Applaus-Lächeln.
Diese Uraufführung sollte bei weiteren Lockerungen ausbaufähig sein. Noch können keinerlei Aussagen zu möglichen Vorstellungen gemacht werden. Immerhin verrät einer der freundlichen Staatsopern-Helfer beim Hinausgeleiten, dass demnächst 100 Zuschauer zugelassen würden. Mit auf den Heimweg bekommen wir ein Werbegeschenk, nutzbar allerdings nur für Smartphone-Besitzer, die auch des Englischen mächtig sind. Richtig gehandhabt, soll man mittels der „VR-Glasses“ in virtueller Realität drei Minuten lang die wunderbare Welt der Oper erleben.
Kaydanovskiy ist seit Saisonbeginn fest am Haus
Bei weiteren Lockerungen ist der Abend ausbaufähig