Konzertsaal im Grünen

von Redaktion

HAUSBESUCH Das Münchener Kammerorchester liefert Musik in Höfe und Gärten

VON GABRIELE LUSTER

„Einmal Mozart mit Beilage, bitte. Für 18 Uhr.“ Längst haben wir uns daran gewöhnt, Pizza, Pasta, Sushi oder die fehlenden Getränke per Telefon zu ordern und frei Haus liefern zu lassen. Corona macht’s möglich, dass jetzt sogar Musikgenüsse nach Hause gebracht werden – von „MKOdelivery“, dem musikalischen Lieferdienst des Münchener Kammerorchesters (MKO).

Pünktlich treffen die fünf Musiker des MKO mit Geigen, Bratschen und Cello mitten in Schwabing ein, wo diesmal die Bestellung aufgegeben wurde. Derweil sich Daniel Giglberger, Yuki Kasai, Kelvin Hawthorne, Xandi van Dijck und Bridget MacRae einspielen, nehmen die Hausbewohner – natürlich mit Abstand – Platz im Garten, machen es sich auf ihren Balkonen mit einem Glas Wein gemütlich oder schauen vom Fenster aus neugierig in die grüne Oase, die zum Freiluft-Konzertsaal wird. Dank der Rundumbebauung ist die Akustik bis in die oberen „Ränge“ gut. Dort hinauf, in den sonnigen Sommerabend schicken die Streicher ihre delikaten Klänge.

Mit Mozarts dreisätzigem D-Dur-Duo für Geige und Bratsche eröffnen Konzertmeister Daniel Giglberger und Xandi van Dijck den Abend: Voller Esprit, spritzig oder zart verinnerlicht folgt die Bratsche als sonore Schwester der silbrig-tönenden Geige. Die, so erfährt der italienische Nachbar beim anschließenden Smalltalk mit Giglberger, ist übrigens eine 300 Jahre alte Guarneri aus Neapel…

Obwohl die Musiker zu fünft anreisen, „servieren“ sie ausschließlich im Duo. In Corona-bedingten Brainstormings von Künstlern und Administration hatte der Bratscher David Schreiber die zündende Idee: „MKOdelivery“! Abonnenten, Förderer und Freunde des Münchener Kammerorchesters werden seit einigen Wochen zuhause beliefert – mit kleinen, feinen Leckerbissen. Mehr als 40 Mal wird der Lieferdienst bis Ende Juli ausgerückt sein. Er beglückt seine Kunden in Gärten oder sogar Treppenhäusern in nahezu allen Stadtteilen Münchens und darüber hinaus.

Naturgemäß bleibt das Kammerorchester sich und seiner abwechslungsreichen Programmgestaltung auch im Lieferdienst treu: So erklingt im Schwabinger Garten selbstverständlich Zeitgenössisches: Den vom US-amerikanischen Komponisten David Lang gerecht aufgeteilten Cantus firmus „Broken“ – eigentlich für Viola und Viola da Gamba – teilen sich die beiden Bratscher Hawthorne und van Dijck. Sie machen daraus ein herrliches Zwillings-Zwiegespräch.

Dass ihre Zuhörer vom Stuhl fallen, erleben selbst die erfolgsverwöhnten MKO-Musiker nicht alle Tage: Die mit Plüschhund ausstaffierte Malou jedenfalls kippt schon bei Mozart rücklings aus ihrem Strandsessel. Sie sortiert sich aber rasch wieder und ist fortan, wie die große Schwester Emilia, ganz Ohr. Ebenso Fußballspieler Lukas, der vor dem Kulturevent noch unter die Dusche sprang.

Die jüngste Zuhörerin im Schwabinger Garten, die drei Jahre alte Theresa, hockt hoch konzentriert auf Mamas Schoß. Und die älteste, im Münchner Kulturleben immer noch umtriebige Nachbarin (fast 92 Jahre) schwärmt: „Einmal ein Konzert zu Hause und dann noch in ‚meinem‘ Garten!“

Aus dem, wie Organisator Kelvin Hawthorne verrät, unvermutet großen Duo-Repertoire für Streicher, zaubern Konzertmeisterin Yuki Kasai und Cellistin Bridget MacRae gleich zwei Stücke hervor: Sie „singen“ György Ligetis Geburtstagsgruß an seinen schwedischen Komponisten-Kollegen Hilding Rosenberg zum Neunzigsten und faszinieren mit einem „Ping-Pong“ aus Ravels Sonate en quatre parties. Dynamisch fein aufeinander abgestimmt, wagen sie sich bis ins Pianissimo und greifen hernach temperamentvoll in die Saiten. Ein eloquenter musikalischer Dialog, in dessen Satzpause (!) sich der Hund aus dem Nebenhof meldet, dem Fritzi vom Balkon aus heftig widerspricht – Dialog eben.

Dass sogar ein paar Zaungäste den Weg durchs offene Gartentor finden und dem 30-Minuten-Programm aufmerksam lauschen, freut Künstler wie Hausbewohner. Alle genießen die Musik. Die aus Wien angereiste Lebensgefährtin eines Nachbarn strahlt: „Es ist so schön, nach langer Zeit wieder Musik live zu erleben, in diesem ‚botanischen Konzertsaal‘ – ein wunderbarer Wiedereinstieg ins Münchner Leben.“

Als nach dem begeisterten Schlussapplaus Leonie mit dem Hut herumgeht, spenden die Nachbarn großzügig. Der Obolus wird von den MKO-Musikern gleich weitergereicht an die freischaffenden Kollegen, mit denen sie oft zusammenarbeiten. Hoffentlich auch wieder in der kommenden Saison, die übrigens den ungeplant aktuellen Titel „Nachbarn“ trägt. Sie soll am 15. Oktober im Prinzregententheater eröffnet werden. Dann natürlich in großer Besetzung!

Weitere Informationen

unter www.m-k-o.eu.

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