Theaterwunder

von Redaktion

PREMIERENKRITIK Schauburg zeigt „Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin“

VON MELANIE BRANDL

Es sind die kleinen Dinge, die Theater manchmal ganz groß machen: Das sanfte Geräusch der Tropfen, wenn das Prasseln des Regens beginnt. Zwei rot glühende Lichter, die den Zuschauern als Augen der gruseligen Ratte im finsteren Kanal einen Schauer über den Rücken jagen. Oder das hilflos-komische Fuchteln mit den Armen, wenn der Fisch ratlos hadert, ob er den glitzernden Zinnsoldaten fressen soll oder nicht.

Mit einfachsten Mitteln wie Schatten, Pantomime und Musik zaubert Regisseurin und Schauburg-Intendantin Andrea Gronemeyer ihrem Publikum bei der Premiere von „Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin“ Bilder in den Kopf. Dabei lässt sie ihre zwei Hauptdarsteller Michael Schröder und Nele Sommer Hans Christian Andersens Märchen mehr erzählen denn spielen. In der sehr gelungenen neuen Textversion von Roland Schimmelpfennig, die quasi am Ende beginnt, erinnern sich der Zinnsoldat und die Papiertänzerin mal gemeinsam, mal abwechselnd an ihr Schicksal: An den Jungen, dem sie zwar geschenkt, von dem sie aber nicht (mehr) beachtet werden, bis sie von einem bösen Kobold verfolgt von der Fensterbank in die Tiefe stürzen.

Während Autor Schimmelpfennig die Geschichte des einbeinigen Zinnsoldaten, der auf einem Papierschiffchen in der Kanalisation landet und schließlich vom Fisch verschlungen wird, von Andersen übernimmt, dichtet er der Papiertänzerin eine eigene dazu: Vom Wind in die Luft gewirbelt ist sie dem Wetter, den Wolken und einem Papierdrachen ausgesetzt, bis sie schließlich von einer Elster geraubt wird und dieser nur knapp entkommt.

Auf, neben und unter der kleinen runden Bühne mit variabler und als Projektionsfläche dienender Decke (Ausstattung: Mareile Krettek), um die herum die wegen Corona auf mickrige 21 Plätze beschränkte Zuschauerschar mit korrekten Abständen platziert wurde, wird – ebenfalls in korrektem Abstand – getanzt, gerannt, gejagt und gespielt. Michael Schröder und Nele Sommer gelingt es mühelos und mit nur wenigen, perfekt eingesetzten Requisiten, in ihre Rollen hinein und wieder hinaus zu schlüpfen. Unterstützt werden sie dabei von dem kongenialen Musiker Greulix Schrank, der nicht nur mit erstaunlichsten Geräuschen einen beeindruckenden akustischen Hintergrund malt, sondern sogar kleine Rollen mit einem urkomischen Schauspieltalent übernimmt.

Und was wünscht man sich in Coronazeiten am meisten? Ein Wunder! Eines, das den Tod verhindert, die verlorene Freiheit zurück schenkt und das gemeinsame Glück garantiert. Gronemeyer gönnt ihren zwei Figuren genau solch ein Wunder und feiert damit sichtlich glücklich gleich doppelt Premiere: Die ihrer Inszenierung und die der Wiedereröffnung der Schauburg nach der Corona- Zwangspause.

Ob es Wunder wirklich gibt? In der Schauburg jedenfalls ist gerade eines wahr geworden.

Weitere Vorstellungen

heute, 14 Uhr, und morgen, 11 Uhr;

Telefon 089/233 371 55. Die Produktion ist geeignet für Kinder ab 8 Jahren.

Artikel 6 von 9