Komponist sei Ennio Morricone, steht in den Lexika. Aber das trifft es nur bedingt – er war eher eine Art Musik-Fabrik. In sechs Jahrzehnten hat der Mann über 500 Filme vertont, oft arbeitete er an mehreren Projekten parallel. Besonders wählerisch war er dabei nicht. „Toll trieben es die alten Germanen“ und anderen Schund hat er auch mitgenommen. Brachte schließlich Geld. Dass er es mit seiner Musik einmal zu Wohlstand bringen würde, konnte er nicht ahnen.
1928 im einstigen römischen Arbeiterviertel Trastevere geboren (heute ein Hipster-Zoo), lernte er während des Kriegs erst einmal Entbehrung und Angst kennen, das hat den Mann ein Leben lang geprägt. Nach dem Kompositionsstudium machte er sich in der Szene einen Namen als Avantgarde-Musiker. Aber der Ruhm und das Geld kamen erst, als ihn sein alter Schulfreund Sergio Leone 1964 fragte, ob er die Filmmusik für sein Projekt „Für eine Handvoll Dollar“ übernehmen würde. Erinnert hatte sich Leone wieder an Morricone, weil der Anfang der Sechziger als einer der besten Arrangeure für italienische Schlager galt.
Für beide war der sensationelle Erfolg des Films eine Überraschung. Und es war ihnen nicht so recht klar, was ihnen da gelungen war: Die beiden Italiener hatten das US-amerikanischste aller Kinogenres im Alleingang revolutioniert und neu belebt. Das lag natürlich nicht nur an Morricones Musik – aber auch. Leone, der gerne sagte, er drehe eigentlich Stummfilme, nutzte die Musik als tragendes dramaturgisches Moment. Morricone hatte sie, inspiriert vom fiebrigen Zeitgeist der Sechzigerjahre, vom klassischen Orchesterbombast befreit. Einen Western, in dem manchmal nur eine verzerrte Gitarre knarzte, eine Mundharmonika wehte oder sich die Maultrommel verlor, hatte man noch nie erlebt. Die Wirkung war immens. Nicht zuletzt weil Morricone minimalistisch ein Motiv variierte und mal Stille zuließ.
Gemeinsam schrieben Morricone und Leone in der Folge mit „Für eine Handvoll Dollar mehr“, „Zwei glorreiche Halunken“ und vor allem „Spiel mit das Lied vom Tod“ Filmgeschichte. Das Werk kann man sich mit einer anderen Musik überhaupt nicht vorstellen. Die Vermutung liegt nahe, dass sich Regisseur Leone bei Tempo und Schnitt am Soundtrack von Morricone orientiert hat und nicht umgekehrt. Morricones Arbeitsweise war ohnehin unorthodox. Er komponierte einfach drauflos, mitunter, bevor die Dreharbeiten überhaupt begonnen hatten. Sich täglich Muster anzusehen, war ihm eher lästig. Er erschuf im Grunde den Film akustisch und überließ den Rest dem Regisseur. Die guten Filmemacher konnten damit umgehen. Viele benutzen „ersatzweise“ alte Musik, um den Rhythmus und das Timing für den Film zu finden. Morricone lieferte das gewissermaßen im Paket mit.
Wie dieses Prinzip insbesondere im Gespann mit Leone außergewöhnliche Ergebnisse liefern konnte, war exemplarisch am letzten gemeinsamen Film, „Es war einmal in Amerika“ von 1983, zu beobachten – das Meisterstück des Duos. Aus einer schlichten Melodie, die von einer Panflöte getragen wird, entwickelt sich der gesamte Soundtrack und mit ihm die gesamte Stimmung. Auf die Idee, für eine Geschichte über Gangster im New York der Zwanziger- und Dreißigerjahre eine Panflöte einzusetzen, wäre wohl kaum ein anderer gekommen. Morricone verlieh dem Film damit etwas Archaisches.
Vielleicht hatte er solche Ideen, weil sein Instrument ursprünglich die Trompete war, die so gerne als Begleitung verwendet wird, aber solo ihre schönsten Auftritte hat. Auf die Mischung aus Ideenreichtum und handwerklichem Können verließen sich deswegen viele Filmemacher wie Pier Paolo Pasolini, Brian de Palma oder Roman Polanski.
Morricone sagte kaum je Nein, das war seine einzige echte Schwäche. Die Marke Morricone war käuflich, und manchmal wurden Filme sogar damit beworben. Nicht immer konnte der Meister den exorbitanten Erwartungen gerecht werden, das wusste er. „Kein Soundtrack kann einen schlechten Film retten“, meinte er. Andererseits: So verdiente er halt sein Geld; selbstbewusst war er. „An sich könnte man mir den Oscar alle zwei Jahre überreichen“, lästerte er, als er wieder einmal übergangen worden war bei der Preisverleihung. 2007 wurde ihm dann der Ehren-Oscar fürs Lebenswerk überreicht und 2016 aus berechtigtem schlechtem Gewissen noch ein regulärer, ausgerechnet für die geschwätzige Western-Operette „The hateful Eight“.
Morricone wird es egal gewesen sein und nur sein düsteres Menschenbild bestätigt haben. Privat oft zwischen mürrisch und hochfahrend pendelnd, gab sich dieser Mann keine besondere Mühe, gemocht zu werden, und verlangte für Interviews schon mal Honorar. Nun ist der grantige Großmeister im Alter von 91 Jahren in Rom gestorben und hinterlässt ein gewaltiges Werk zum Immer-wieder-Entdecken.