Er möchte das Haus der Kunst fliegen lassen. Beim ersten Gespräch des künstlerischen Chefs Andrea Lissoni und des kaufmännischen Geschäftsführers Wolfgang Orthmayr mit Vertretern der Presse gewann unsereins rasch den Eindruck: Das flutscht – und fliegt vielleicht. Die Münchner Halle, lange vor allem durch Skandale und Frustrationen im Gespräch, ist über den Berg. Und das trotz Corona. Die Neuen sind voll in den sogenannten Lockdown gestolpert – und bewältigten tapfer Stilllegung, Enttäuschung, Probleme.
„Wir mussten die Ausstellung ,Innenleben‘ abbauen; da haben wir am eigenen Leib erlebt, wie kompliziert das alles nach den neuen Regelungen geworden ist“, erzählte Orthmayr. „Die Kosten sind uns dabei um die Ohren geflogen.“ Allein die Flüge hätten das Achtfache ausgemacht, und einige Objekte konnten bis vor Kurzem gar nicht zurück nach Brasilien und in die USA gebracht werden. „Alles musste eingelagert werden, sodass das Dreifache an Kosten entstand.“ Und dem Manager graust schon ein wenig davor, „dass jede zukünftige Schau unter ähnlich schwierigen Bedingungen“ realisiert werden müsse. Der künstlerische Direktor reflektierte eher über seine Idee der Nähe und Transparenz, die nun den Zwang zur Distanz aushalten muss. Lissoni und Orthmayr haben aber beide naturgemäß so viel mit dem Ausland zu tun, dass sie wissen: Dort ist die Lage viel schlimmer. „Die Welt ist verletzt“, so Lissoni. Ihm sei es wichtig, respektvoll und solidarisch mit Künstlern und Kollegen umzugehen.
Diese Haltung hatte der 1970 in Mailand geborene Italiener, der lange an der Londoner Tate tätig war, schon zuvor. Deswegen fiel das Wort „Zusammenarbeit“ bei seinen Ausführungen sehr oft. Die soll hier in München, in Bayern genauso funktionieren wie global, ob mit Kenia oder Kanada. „Wie können wir einander helfen?“ ist so ein Lissoni-Grundsatz. Deswegen ist ab 4. September die Exposition „Paradise Edict“ des britisch-kenianischen Malers Michael Armitage zu sehen und ab 9. Oktober „Der Öffentlichkeit“ von der Kanadierin Kapwani Kiwanga, die am andere oft ausgrenzenden „Volk“-Begriff sägt. Cyrill Lachauer (ab 23. Oktober) wiederum verbindet per Herkunft und Wohnort Alte und Neue Welt. Außerdem hebt Lissoni die Tradition des Hauses der Kunst hervor, den Euward-Preis zu präsentieren, der Kunst geistig Behinderter ernst nimmt (ab 18. September). Mehr mochte der künstlerische Direktor nicht verraten. Bei der jetzigen Lage müsse vieles ad hoc geplant oder umgeplant werden: „Wir surfen da ein bisschen.“ Das musste er bereits für die kommenden Ausstellungen beherzigen.
Generell interessieren ihn schöpferische Menschen, die prägend sind und ihren eigenen Weg gehen, auch gegen etablierte Strukturen. Genauso will er es selbst halten und die gewohnten Ausstellungsformate und -inszenierungen ummodeln und weiterentwickeln. Dabei beschäftigt ihn – gerade aus der Erfahrung im Lockdown – der Bereich des Digitalen: nicht als Selbstzweck, sondern immer auf der Grundlage einer Vision.
Wieder stellte sich bei dem Pressegespräch das Gefühl ein, dass die Phase des Innehaltens sowohl Lissoni als auch Orthmayr (Jahrgang 1960), der 2018 die marode Documenta saniert und vorher im Musicalgeschäft gearbeitet hat, guttat. Dass sie ein echtes Team sind, ist nicht gespielt. Der Manager lobte seinen Vorgänger Bernhard Spies, der die „Aufräumarbeit“ geleistet habe. „Ich erbte keinerlei Altlasten.“ Nun ja, die Querelen um die Aufsichten waren noch nicht ganz erledigt. Orthmayr beendete sie im Einvernehmen mit den Angestellten und dem Betriebsrat. Obendrein sorgte er für bessere Tarife.
Der Manager lobt außerdem den Freistaat, der als Gesellschafter treu zum Haus stehe. Trotz „substanzieller Ausfälle“ – weniger Besucher, wenig Pacht, keine Event-Vermietungen – hoffe er, dass das Budget heuer reiche. An Gebäudesanierung oder gar Umbau denkt in der jetzigen Lage keiner der Herren ernsthaft. Trotzdem wird nicht gejammert. Die Politik und unser Gesellschaftssystem werden vielmehr gepriesen, denn der Blick in andere Länder lehrt das Grausen. „Der deutsche Kulturbetrieb kann auf eine große Sicherheit bauen“, betonte Wolfgang Orthmayr. Mit dieser Rückendeckung wollen Andrea Lissoni und er „ihr“ Haus fliegen lassen.