Wie dafür geboren

von Redaktion

Uraufführung der Ballett-Produktion „Metamorphosen II“ am Gärtnerplatztheater

VON MALVE GRADINGER

Aktuell sind Tanz-Vorstellungen Corona-bedingt noch auf 50 Minuten begrenzt. Deshalb hatte Münchens Gärtnerplatz-Tanzchef Karl Schreiner die jüngste Premiere, eine Kreation seiner Tänzer, einfach geteilt. Nach „Metamorphosen I“ (wir berichteten) sah man jetzt mit gespannter Aufmerksamkeit Runde II. Heißt: drei weitere Ovid-Miniaturen, entworfen und getanzt von je vier Ensemble-Mitgliedern.

Dabei dachte man insgeheim: Eine knappe Stunde wäre auch in einer Post-Corona-Ära genau das richtige Zeitmaß für konzentrierten zeitgenössischen Tanz. Diesen freien Stil, ja, wir wiederholen uns hier, haben die Gärtnerplatz-Tänzer in Muskeln und Sehnen gespeichert, als wären sie damit geboren. Was schon mal eine erste Grundlage war fürs eigene Kreieren.

Eröffnet wurde mit „Deukalion und Pyrrha“. Der Mythos geht so: Als Einzige verschont von Jupiters Sintflut zur Vernichtung einer verdorbenen Menschheit, sollen die beiden noch mal ganz neu beginnen. Ein bisschen Etikettenschwindel könnte man dem Kreativ-Quartett schon vorwerfen. Denn von dieser Noah-Story ist hier nichts zu entdecken. Okay, Kunst heißt Schöpfungsfreiheit. Aber die blühte hier doch etwas karg.

Man hörte akustisch verschattete poetische Texte vom Band oder live gesprochen. Ja, auch auf Französisch und Englisch, was eine neue multiethnische Gesellschaft andeuten mag. Und es wurde auch quer durch eine – immerhin! – mit Wertstoffmüll belastete Chaos-Landschaft im Spontan-Impro-Stil getanzt.

Mehr choreografisches Profil dann bei „Phaeton“. Hier auch kein übermütiger Apollo-Sohn, der mit dem nicht beherrschten Sonnenwagen die Welt in Brand steckt. Gegen Ende flackert jedoch minutenlang auf schwarzer Leinwand eine weißflockende Riesenflamme. Und wenn die vier Tänzer-Choreografen sich zum Quartett zusammenfinden, in ihren ausgreifenden Schritten und weich mitschwingenden Armbewegungen gleichsam von einem unsichtbaren Faden in Harmonie verbunden, dann kann man schon Apollos geflügeltes Gespann assoziieren. Auch musikalisch ist dieser Mittelteil am interessantesten. Fein ausgesucht die Besetzung im Graben: für Bachs Partita Nr. 2, 1. Satz, für den rasant gespielten zweiten Satz von Schostakowitschs Streichquartett Nr. 8 und die subtil musizierte „Sonata 1963“ von Frank Proto.

Ovids „Teiresias“ erwies sich eher für eine konkretere Umsetzung geeignet. In Kürze: Der blinde Seher lebte durch die Tötung einer weiblichen, dann einer männlichen Schlange einmal als Frau, danach sieben Jahre als Mann. Hier schälen sich aus elastisch verpackten Körperknäueln am Boden sexuell noch nicht „definierte“ Wesen heraus, werden zu Männern und Frauen, dann, in langen schwarzen Röcken (die Damen barbusig) zu Wesen zweierlei Geschlechts. Das alles geschieht, mit Sophie Lücke am Kontrabass mit auf der Bühne, in einer wie träumend dahin gleitenden Choreografie, jeweils auf stimmungsstützenden Musiken von Teppo Hauta-aho, Alva Noto und Nam June Paik. In den Körperhaltungen irgendwie nobel, in sich ruhend, die übliche Mann-Frau-Unterscheidung gelassen vergessen machend. Ein schöner Abschluss, der vielleicht auch in die zu erhoffende positive „neue Normalität“ vorausweist.

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