Vertraute Fremde

von Redaktion

Die Pinakothek der Moderne zeigt Schlüsselwerke aus dem Schaffen der Künstlerin Astrid Klein

VON ALEXANDER ALTMANN

Vielleicht ist unser Gedächtnis ja doch keine Festplatte, sondern ein altmodisch- analoger Filmstreifen, auf dem sich in Doppel- und Dreifachbelichtung Bilder, Gedanken, Gefühle überlagern. Insofern wären Astrid Kleins Collagen, die solchen Mehrfachbelichtungen gleichen, herrlich surreale Filmstills des Bewusstseinsstroms. Alte Schwarz-Weiß-Fotos aus Illustrierten kombiniert die Kölner Künstlerin mit kurzen Textzitaten aus der Weltliteratur; oft sind es Kino-Stars und mehr oder weniger bekleidete Damen von anno dazumal, die hier mit sonstigem, oft rätselhaften Bildmaterial überblendet werden.

In einer großformatigen, stellenweise wie angeätzt wirkenden Collage etwa sieht man Romy Schneider im Vordergrund, darunter Zitate aus Shakespeares „Macbeth“, und von hinten dämmert ein nebliges Porträt Johnny Rottens auf, des Sängers der legendären Punk-Band Sex Pistols. Zudem ist der Metallrahmen des Bildes absichtlich nicht mit edlem Museumsglas bestückt, sondern mit „richtigem Glas“, wie die Künstlerin sagt. Also mit einer Scheibe, in der sich auch der Betrachter schemenhaft spiegelt, um so selbst als Teil dieses spannungsgeladenen Palimpsests buchstäblich zu erscheinen, das Elemente der Hoch- und Populärkultur halbtransparent überblendet.

Unter dem doppelbödig-romantischen Titel „Dass vollkommene Liebe die Angst austreibe“ zeigt die Pinakothek der Moderne jetzt Schlüsselwerke von Astrid Klein – darunter fünf Neuerwerbungen, mit denen die scheidende Kuratorin Corinna Thierolf noch einmal einen Coup gelandet hat.

Natürlich sind diese Bilder faszinierende Tiefenbohrungen in die Sedimentschichten der Erinnerung, ein Widerhall aus den Echoräumen des (kollektiven) Unbewussten. Aber die rein psychologische Deutung griffe genauso zu kurz wie eine vordergründige feministische Lesart, der zufolge die 1951 geborene Künstlerin einfach Frauenbilder als männliche Projektionen entlarvt.

Die Enthüllung sowohl von Archetypen als auch von optischen Narrativen, die weibliche Rollenklischees tradieren, ist hier selbst bloß ein Collage-Fetzen, ein Zitat. Doch gerade durch diese spielerische Distanz zu allen Inhalten erreicht Astrid Kleins Werk jenen Schwebezustand zwischen dem Vertrauten und dem Fremdartigen: Die irritierende Überlagerung bekannter, aber disparater Bild- und Denkmuster öffnet unbekannte Assoziationsfelder jenseits unserer gängigen Erfahrungen. So etwa auch in dem großformatigen Bild, das schwarze, seltsam drollige Wolfs-Silhouetten im Sprung vor maroden Industriebauten zeigt. Die Verbindung des Kindlich-Märchenhaften mit apokalyptischen Motiven, das Ineinander von Urangst und Heimeligkeit evoziert Empfindungen, die sich vertrauten Ordnungen entziehen.

Auf ähnliche Prinzipien setzt eine ganz anders geartete Arbeit Astrid Kleins: Am oberen Ende der großen Treppe in der Pinakothek der Moderne ist eine monumentale Spiegelwand angebracht, die aber dutzende Einschusslöcher mit davon ausgehenden krakeligen Rissen aufweist. Wobei die Künstlerin eigenhändig auf den Spiegel geschossen hat, weil sie, wie man hört, einen Jagdschein besitzt. Jedenfalls sieht der Betrachter beim Blick in den Spiegel sich selbst wie auch den Museumsraum nun gelöchert und durchzogen von zahllosen Sprüngen. Ein unerwartet aktuelles Werk in diesen Zeiten, da unser aller Weltbild doch heftig unter Beschuss geraten ist und beträchtliche Blessuren davontrug.

Von 21. Juli bis 17. Januar 2021,

tägl. außer Mo. 10-18 Uhr, Do. bis 20 Uhr.

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