Selten hat der Weltuntergang so viel Spaß gemacht. Und mit derart treibendem Tempo und packendem Rhythmus wie jetzt im Münchner Volkstheater hat sich der Planet auch noch nicht verabschiedet. Sapir Heller inszenierte „Das hässliche Universum“ von Laura Naumann; am Mittwoch feierte diese zweite Produktion der neuen Spielzeit Premiere.
Knapp 80 pausenlose Minuten benötigen die Regisseurin und ihre vier hochengagierten Schauspielerinnen und Schauspieler für ihren „Final Countdown“. Es ist ein dichter, komischer, berührender und angstmachender Abend. Naumanns Stück, das 2017 im Auftrag des Schauspiels Frankfurt geschrieben wurde, stimmt den Abgesang auf die Welt an. Sie wird bestattet zu den Klängen einer Band, die ein letztes Konzert spielt. Dieser mal sperrige, mal komische, mal platte, mal kluge Text ist emotionale Zustandsbeschreibung und scharfe Analyse von Teilen der (virtuellen) Gegenwart.
Aus dem diffusen Chor der Stimmen, aus dem Stakkato der Sätze, aus den enormen Textflächen erheben sich Skizzen einzelner Figuren: die alleinerziehende Mutter, zerrieben zwischen den drei Kindern und dem stressigen Ex; Sahar und ihr verliebter Nachbar; ein Youtuber, der sich „Engagierter Bürger“ nennt und weiß, dass seine Follower „Sehnsucht nach etwas Ausgewogenem, nach der Mitte“ haben. Sie alle stoßen in den Weiten des Internets auf Rosa, die den Suchenden Halt und Hoffnung gibt. Sie ist ein Phänomen: Jeder kann scheinbar alles in das hineininterpretieren, was Rosa „eigentlich gesagt“ hat. Ihre Fans werden so zu Exegeten und Evangelisten.
Die Stärke des Dramas liegt nicht nur in der kompakten Bauart, sondern auch darin, dass es beinahe hinter jeder Pointe steil bergab geht. Selbst der banalste Satz verbirgt hier nur dürftig einen jähen Abgrund.
Heller, die in der vergangenen Spielzeit die deutschsprachige Erstaufführung von „Amsterdam“ am Volkstheater eingerichtet hat, benötigt wenig für Laura Naumanns „best Funeral ever“. Ausstatterin Anna van Leen hat ihr eine Reihe Tingeltangel-Glühbirnen über die Bühne geschraubt, im Hintergrund leuchtet „The Goodbye Show“. Passend zum Jahrmarkt-Ambiente steckt das Ensemble in Kostümen wie für einen Lookalike-Wettbewerb: Da ist Vincent Sauer als Freddie Mercury; Nina Steils erinnert an Frida Kahlo; Anne Stein geht problemlos als Debbie Harry durch, und Silas Breiding pendelt zwischen Siegfried-Idyll und Spartacus.
Diese wie befreit aufspielenden Fab Four haben jeweils eine Bank (doch bei der Rasanz des Abends lohnt sich das Sitzen kaum), ein Mikro und ihre Instrumente: Punktgenau und schnell entwickelt sich ihr Spiel, das in den besten Momenten eine hinreißende Choreografie aus Sprache, Geräuschen und Bewegungen ist.
Die Musik ist hierbei kein Alibi, sondern strukturiert die Inszenierung. Ein Höhepunkt: Wenn Steils beweist, dass Sänger Damon Albarn aus dem Blur-Kracher „Song 2“ stimmlich eben doch noch nicht alles hervorgeholt hat. Tom Waits („Time“), Bon Jovi („It’s my Life“) und Tokio Hotel („Durch den Monsun“) werden ebenfalls bei diesem letzten Konzert interpretiert. Allerdings macht dieses Quartett allein durch Fingerschnippen und musikalisches Artikulieren aus dem gesamten Text eine virtuos klingende Sprechoper.
Am Ende schließlich schildern die vier irritierend poetisch, wie leicht aus einem Feuerbefehl im Netz ein gnadenlos um sich greifendes Glutmeer werden kann. Wie die Stichflammen unser Leben wegbrennen und es im wahren Wortsinne stimmt: „Humans made the Earth glow.“ Und jetzt?
Langer, heftiger Applaus.
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