Gespenstisch – die Münchner Muffathalle, wo die jährliche Tanzwerkstatt Europa (TWE) startete. Auf der gewöhnlich voll besetzten Tribüne waren gerade mal 82 Zuschauer im Zwei-Meter-Rundum-Abstand platziert. Einerseits bedrückend, andererseits fühlt man sich doch sicherer, kann sich ganz auf die Vorstellung konzentrieren. Das verlangt auch Jefta van Dinthers „Plateau Effect“, ein zwischen freiem Tanz und bildender Kunst geradezu Assoziationen erzwingendes Stück.
Sieben Tänzer, aufgereiht an der Rampe, bringen einen herabgelassenen Breitvorhang erst sachte, dann immer heftiger in wellenartige Bewegung. Der Vorhang fällt, findet sich als kleiner Stoffberg auf der Bühne wieder, wird von den Performern umlagert, in einer Art Beschwörung umtanzt, dann in seiner ganzen Fläche ausgebreitet und luftig angehoben.
Ehe man sich’s versieht, haben die sieben „Plateau-Arbeiter“ Seile an verschiedenen Stellen des Stoffes festgeknüpft, der jetzt als riesiges Segel gehisst und durch den Raum manövriert wird. Tanz, Kunst als gemeinschaftliche Anstrengung, das scheint hier die Botschaft. Man fragt sich, wie die Notation dieser wilden Segel-Handhabung aussieht. Oder geschieht diese „Choreografie der Materie“ ad hoc durch Aktion und Reaktion der Siebener-Crew? Jedenfalls tanzt das Mammutsegel auf und ab, formt sich zu Hügeln und Tälern, wird tatsächlich zur zentralen Stück-Figur, in Szene gesetzt nur durch die zu Handlangern degradierten Tänzer. Auch dies vielleicht eine Botschaft? Getragen wird diese ab der zweiten Hälfte doch etwas überdehnte Objekt-Choreografie von der zugespielten Musik: dem rhythmisch und klanglich durchgehend variierten, kompakten E-Soundstrom von David Kiers. Man lässt sich da hineinfallen, schwimmt in der inneren Sensation mit, während die emsigen „Matrosen“ das Segel zu einer großen Stoffwurst zusammenrollen, als Trophäe in der Bühnenmitte aufhängen und schließlich selbst, quasi nach getaner Arbeit, noch tanzend die Glieder schwingen.
Jefta van Dinther, schon zuvor TWE-Gast, gehört zu den Grenzgänger-Choreografen, deren Werke auch bestens in Museen wirksam werden. Was den Tanz an sich betrifft, bleibt man ein wenig hungrig. Die sieben Objekt-Manövrierer erlebt man lediglich in einem gummiweichen Allzweck-Impro-Modus, der kein persönliches Tanzprofil erkennen lässt. Möglich, dass van Dinther seine ganze kreative Kraft brauchte für diese „Segel-Choreografie“, die ja auch einen neuen künstlerischen Blickwinkel eröffnet.
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