Sein einziges Stück heißt „Der Gruftwächter“. Ansonsten hat Franz Kafka keine Dramen geschrieben. Dafür schaffen es seine epischen Texte oft auf die Bühne. Die Erzählung „Der Bau“ wurde sogar schon einmal verfilmt, obwohl darin nur ein Tier über seine unterirdische Festung monologisiert. Nun hat Mirjam Loibl das Werk fürs Münchner Volkstheater inszeniert. Heute Abend ist Premiere. Ein Gespräch über menschliche Tiere, Abschottung und die bedrückende Welt der Feindbilder.
Warum genau dieser Text von Kafka?
Eigentlich wollten wir im Frühjahr ein ganz anderes Drama inszenieren, über den Stellenwert von Weiblichkeit in der Gesellschaft. Aber dann kam Corona. Mein Team und ich litten natürlich auch unter dem Lockdown. Dann tauchten die Verschwörungstheoretiker plötzlich in geballter Form auf. Daraufhin suchten wir nach einem Text, der dazu passte. Der die Frage beantwortet, was passiert mit uns, wenn wir auf uns zurückgeworfen werden und um uns selbst kreisen.
Welcher Aspekt von Kafkas Arbeit wirkt bei Ihnen stärker, das Beklemmende oder der Witz?
„Der Bau“ ist zum Teil schon wahnsinnig lustig, aber auf eine sehr tragische Art. Die Beklemmung liegt ja darin, dass seinem Protagonisten, dem Tier, immer verunmöglicht wird, mit anderen in Kontakt zu treten. Er ist sehr alleine. Genau das ist es, was ich spannend finde.
Die Erzählung ist unvollendet geblieben. Wie endet alles bei Ihnen?
Kafka bat seinen Freund Max Brod, seine Werke nach dem Tod zu vernichten. Brod hat das nicht getan. Er meinte, hätte Kafka das wirklich gewollt, hätte er dies anders mitgeteilt als in einer Notiz. Der letzte Satz in „Der Bau“ heißt: „Aber alles blieb unverändert, das…“ Brod machte bei der Veröffentlichung daraus „Aber alles blieb unverändert.“ Wir haben das Ende nun noch mal geöffnet. Bei uns bricht der Satz ab. Unser dramaturgischer Bogen vollzieht erst eine Aufwärtsbewegung, dann sackt er wieder ab. Ähnlich wie eine Schleife, sodass das Ende fast der Anfang sein könnte.
„Der Bau“ ist eine Erzählung aus der Ich-Perspektive eines Tiers. Sie setzen auf der Bühne drei Schauspieler ein – wie haben Sie den Text aufgeteilt?
Das Tier hat mehrere Bewusstseinsströme. Diese treten in Konflikt miteinander. Wenn man sie verschiedenen Schauspielern zuordnet, wird das deutlicher und lebendiger.
Es gibt die These, das Tier sei ein Dachs.
In „Brehms Tierleben“ finden sich Passagen über den Dachs, von denen man vermutet, dass auch Kafka sie gelesen hat. Am Anfang der Probenzeit fanden wir es recht erheiternd, uns mit dem Dachs zu beschäftigen. Doch später spielte es keine Rolle mehr. Sehr schnell landeten wir bei menschlichen Zügen und der menschlichen Psychologie.
Welche menschliche Dimension nimmt dieser Dachs an?
Die Figur schottet sich komplett von der Außenwelt ab. Da muss man sich natürlich fragen: Wie kann es sein, dass sich jemand so aus der Gesellschaft zurückzieht? Welchen Anteil hat sie daran, dass jemand so misstraut und sich in seine eigene Welt flüchtet – etwa ein Verschwörungstheoretiker? Wir haben uns mit Ängsten und Theorien über Ängste beschäftigt, dem Kreislauf der Ängste und der sich daraus entwickelnden Abwärtsspirale.
Was sagt die Figur über unsere Gesellschaft aus?
Sie versucht, sich eine Welt aufzubauen, die nach den immer gleichen Regeln funktioniert, überschaubar und kontrollierbar ist. Das hängt stark damit zusammen, dass unsere Welt immer komplizierter, abstrakter und schneller wird.
Welche Rolle spielt die angedeutete Kleinbürgerlichkeit der Figur in Ihrer Inszenierung?
Wir haben eine klare Setzung vermieden, die Figur eben nicht in ein Einfamilienhaus im Münchner Umland gesetzt. Aber natürlich spielt diese Assoziation eine Rolle. Doch wenn wir uns darauf fixiert hätten, dann hätten wir der Geschichte andere Aspekte weggenommen.
Darf man Mitleid mit dieser Figur empfinden?
Die Figur kippt manchmal vom selbstgefälligen, hasserfüllten, ein Feindbild kreierenden Wesen in eine armselige Kreatur. Wir wollten nicht, dass sie allzu weit weg von uns selbst ist. Sonst könnten wir uns nie hinterfragen. Ich habe letztens eine NPD-Kundgebung beobachtet. Nur drei, vier Teilnehmer. Ich dachte: Ihr könnt wohl nicht mehr zurück aus eurer Haltung? Zugleich fragte ich mich: Warum gehen solche Menschen verloren? Wie kann man es schaffen, viel früher einzugreifen, damit so etwas nicht passiert?
Das Gespräch führte Katrin Hildebrand.