Schon am Weg zum Alpenstadion in Waidhofen an der Ybbs fragten nicht wenige Passanten, was denn da heute los sei, dass sich so viele Menschen Richtung Sportstadion aufmachten. Es war was los! Gewaltig! 1200 Menschen nahmen auf dem perfekten Rasen des Fußballfeldes Platz. Jeder Besucher, jede Besucherin auf genau einem Quadratmeter, wie es die Markierungen rund um den Sessel anzeigten. Die Mitarbeiter des städtischen Bauhofs leisteten Maßarbeit. Auf der Tribüne, die als Bühne fungierte, saßen die Musikerinnen und Musiker der Trachtenmusikkapelle Windhag mit Dirigent Thomas Maderthaner. Ein hochmotivierter Klangkörper, der im regionalen Raum als Karriereschmiede gilt. Laien und Profis musizierten einfach großartig. Gekommen waren alle zudem wegen Günther Groissböck, dem Klassik-Super-Star der Mostviertler Statutarstadt in Niederösterreich.
Waidhofen ist immer für eine kulturelle Überraschung gut. Ein reines Wagner-Programm unter dem Motto „Wahn! Wahn! Überall Wahn!“ nach dem gleichnamigen Monolog des Hans Sachs aus die „Meistersinger von Nürnberg“ war nun wirklich eine Sensation. Die vom Publikum aus nah und fern mit Begeisterung und spürbarer Dankbarkeit angenommen wurde; ein erster Versuch war wegen des Wetters gescheitert. Veranstalter Thomas Bieber hatte die Idee: Wenn schon Groissböck der Wotan samt Rollen-Debüt im Bayreuther „Ring“ abgesagt wurde, warum nicht Wagner in seiner Heimatstadt?
Zeit, Platz und Wille waren vorhanden. Die ausgezeichnet disponierte Trachtenmusikkapelle Windhag behalf sich mit verschiedenen, wohldosierten Arrangements, unter anderem vom Komponisten Alexander Wagendristel. Das Verblüffende, die Streicher schienen gar nicht zu fehlen. Das hing vor allem an der hohen Qualität der Bläsergruppen. Allen voran die Hörner und Trompeten. Schon der Beginn mit dem Vorspiel zum 3. Akt „Lohengrin“ drückte ob seiner zwingenden Intensität vielen Besucherinnen Tränen in die Augen. Diese Wucht der Musik unter freiem Himmel in wundersamer Abendstimmung erleben zu dürfen, war mit Abstand gelebte Gemeinschaft.
Und auch Groissböck setzte zum Gebet des Königs Heinrich an, als ginge es darum, der ganzen Welt zu zeigen: Es geht schlichtweg um alles. Unser Selbstverständnis, unsere Kultur und menschliche Seelennahrung. Auf „Elsas Zug zum Münster“ folgte Heinrichs Dank, ehe die beiden großen Monologe des Hans Sachs einmal mehr zeigten, welche Dimensionen der Sänger in Sachen Wagner zu eröffnen vermag. Den Flieder-Monolog legte er geradezu keck an. Diesen in frischer Abendluft zu hören, wurde zum besonderen Erlebnis. Im Wahn-Monolog zeigte der Bass Wagner-Belcanto, so wendig schraubte er seine Stimme in die Höhe – ein Sachs, der elegant und tiefgründig über seine Lebensumstände sinniert. Zu einem weiteren Höhepunkt des Abends gerieten „Wotans Einzug in die neue Burg“ aus dem „Rheingold“-Ende sowie des Göttervaters Abschied und Feuerzauber aus der „Walküre“.
Die Stimme von Günther Groissböck harmonierte wie eingebettet mit dem feinnervigen Bläsersound der Trachtenkapelle. Sie stand dem Solisten in nichts nach. Einen ganzen Abend lang hatte man den Genuss und die Freude, sich von Wagners Musik energetisch aufladen zu lassen. Verhandelt wurde kraftvoll innig. Seine musikalische Pranke als Moralist in „Lohengrin“, seine launige Hinterfragung der Tradition in den „Meistersingern“ und die Sicht Wotans auf sein Tun: Eingegangene Verträge wiegen mehr als die Liebe zu seiner Tochter Brünnhilde. Der schwierige Abschied vom geliebten Kind. Knisternd die Stimmung im Publikum, die das Ende von „Rheingold“ noch einmal als Zugabe einforderte. Und die Walküren? Sie hatten nicht einen Funken Heimweh nach Bayreuth. Ein musikalisches Elferschießen Wagners von der Tribüne ins Publikum.