Eine Grotte: Ludwig-zwei-Jünger werden an ihr Idol – es war immerhin gerade der 175. Geburtstag – denken; Fridays-for-Futurler ahnen, dass es solche Eishöhlen bald nicht mehr gibt, und die (Hobby-)Ozeanologen unter uns werden über die Vermüllung der Meere seufzen. Ja, Vincent Mesnaritsch hat mit seiner Kulissengrotte aus Kunststoffbahnen eines jener Bühnenbilder in den Theaterraum gestellt, das auf genial einfache Weise viele Assoziationen beim Publikum auslöst. Und damit wieder einmal klarstellt, was das Gemeinschaftserlebnis Theater auch ausmacht: dass wir kindlich staunen dürfen.
Gewellte Plastikhänger, Folien, die sich über eine Podestelandschaft breiten, das ist das seltsame Ambiente im Münchner Volkstheater für „Probleme Probleme“. Die Inszenierung nach der gleichnamigen, 1972 erschienenen Erzählung von Ingeborg Bachmann (1926-1973) hatte am Mittwochabend Premiere. Das Team Abdullah Kenan Karaca (Regie), Rose Reiter (Dramaturgie) und Mesnaritsch (Bühne) hat sich voll in den Text der österreichischen Dichterin geschmissen. Und entdeckte in diesem literarisch so fein wie witzig gemalten Bildnis einer jungen Frau: das Puppenhafte. Diesen Hinweis griff das Trio auf und baute darauf seine Gestaltung. Wie Puppen unter Zellophanhüllen liegen die Schauspieler zu Beginn der Vorstellung auf den Kuben, bis sie Theaterluft und „Blaue-Donau“-Gewalze zum Leben erwecken.
In drei Versionen ist die Hauptfigur, die 20-jährige Wienerin Beatrix, gesplittet. Ihre Lebensfixpunkte sind das Bett – „Nichts als schlafen!“ – und der Friseursalon René. Insofern ist die Plastikeisgrotte mal Traumgefilde, mal Kokon, mal Symbol für Gemütskälte und zwischendrin – Theaterspaß! – mal Showtempel für Siebzigerjahre-Discoklänge von Silver Convention und Nicoletta. Beatrix, die ein Zimmer bei ihrer Tante bewohnt und ein kleines Salär von ihrer Mutter erhält, hat „Probleme Probleme“ mit der Außenwelt. Die kommt dauernd mit irgendwelchen Zumutungen daher, will, dass sie was lernt und arbeitet wie Cousine Elisabeth und/oder unternehmungslustig ist wie die Pariserin Jeanne. „Grauenvoll“ ist das, da Beatrix schon die „Belastung“ hat, sich zum Beispiel zwischen Kleidern entscheiden und Laufmaschen suchen zu müssen.
Bachmann formt mit sympathisierender Ironie eine Frau, die noch Mädchen ist – oder umgekehrt; eine Unemanzipierte, die emanzipiert ist – oder umgekehrt; eine Rebellin, die sich scheinangepasst durchlaviert – oder umgekehrt. Am amüsantesten kehrt sich diese charakterlose Konsequenz in der Beziehung zum 35-jährigen Erich hervor. Warum gibt sich Beatrix mit diesem Ehemann ab, der ihr nur dauernd über seine Ehe vorjammert? Stärkt es ihr Ego, sich ihm so sehr überlegen zu fühlen, dass sie ihm vorspielen kann, er sei ihr überlegen? Ingeborg Bachmann seziert das alte erfolgreiche Frauenspiel, mit dem frau Männer einfängt. Aber ihre Beatrix will ja doch gar keinen Mann.
Die adrette Außenseiterin, diese Schwester von Iwan Gontscharows schlafsüchtigem „Oblomow“ (1859), zerlegt Regisseur Karaca in drei expressionistisch geschminkte Figuren, die schwarz-weiß-grau schimmernde, zeitlose Kleidung tragen (Kostüme: Elke Gattinger). Jakob Immervoll, Henriette Nagel und Max Poerting versetzen den maßvoll gekürzten Text in Schwung bis hin zum schmierigen Weanarisch. Sie zwirbeln Skurrilitäten heraus, insbesondere wenn Erich zu Wort und Körper kommt: Dick Plastikfolie ins Shirt gestopft macht breite Schultern. Immervoll, der Erzkomödiant, gibt dem Affen Zucker, während Poerting und Nagel das ruhige Gegengewicht dazu bilden.
Für eine ordentliche Komödie gehört es sich, dass zum Ende hin die Komplikationen zum erschröcklichen Chaos kulminieren. So nimmt der Wahnsinn bei René – immer emphatisch betont – seinen Lauf. Bei den friseurtechnischen Horrorszenen kommt ein lustiges Schattenspiel zum Einsatz; der expressionistische „Nosferatu“ lässt grüßen. Ja, ja, gerade noch hat Beatrix in güldener Aura (Licht: Stefan Maria Schmidt) das Glück des Verliebens – natürlich in sich selbst – erleben dürfen, schon geht’s immer schneller bergab bis zum Schlusspunkt: „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, machtvoll akzentuiert von Sägerinnenlegende Brigitte Fassbaender (Mahler: Rückert-Lieder).
Herzlicher Applaus.
Nächste Vorstellungen
am 29. August, 2., 10., 23. September; Karten unter Telefonnummer 089/523 46 55.