Muskeln für die Demokratie

von Redaktion

Thierry Geoffroy hat in der Villa Stuck ein Fitness-Center für Denker installiert

VON SIMONE DATTENBERGER

„Das bin ich“, sagt Thierry Geoffroy (Jahrgang 1961) und deutet auf einen Strichmännchen-Cartoon an der Wand der Münchner Villa Stuck. Die gelb-schwarze – Münchens Farben – Zeichnung ist verwandelt worden: nicht nur zu imposanter Größe, sondern auch in kurzflorige Auslegeware. Das Manschgerl stemmt eine Hantelstange mit Gewichten über seinen Kopf. Aber es geht gar nicht um dicke Muckis, denn die Zeile darüber mahnt „Lift your responsability“.

Sicherlich, in der Ausstellung „Thierry Geoffroy. The Awareness Muscle Training Center“ glitzern um einen herum diverse silberne Fitnessgeräte, die – ein wenig unheimlich – von Gesundheits-, Schönheitskult und Selbstoptimierung künden. Da sind jedoch auch das Wort, das Bild, die Farbe, das Foto, der Spiegel. Und diese sind wild, unruhig, suchend, fordernd, neugierig und aufdringlich. Schau her! Tu was! Denk nach! Stell dich deiner Schuld, deiner Angst, deiner Trägheit des Herzens! Geoffroy will Training für unseren Bewusstseinsmuskel, für den des Mitgefühls, den der kritischen Haltung. Und dabei ist dem Franzosen, der in Kopenhagen lebt, Anstrengung wichtig. Erkenntnis soll sich unbedingt in Tat umsetzen. Deswegen kombiniert er Performance mit Installation und Elementen von Zeichnung, Malerei, Collage.

Sport passt für ihn bestens zur bayerischen Landeshauptstadt, Stichwort: Olympische Spiele, Stichwort: Fußball. Also hat er extra für das Neue Atelier der Villa Stuck ein „Awareness Muscle Training Center“ konzipiert. Bei all dem ist es kein Wunder, dass Thierry Geoffroy die Besucherinnen und Besucher nicht in der Zuschauerrolle lässt. Man bekommt eine Trainingsassistentin zur Seite gestellt, die freilich nicht die Haltung korrigiert. Sie bohrt sich vielmehr mit Fragen in Ängste, die man beim „Fear“-Watschenmann rauslassen darf, ins Gewissen, in Entscheidungen und Einschätzungen. Für Außenstehende schaut das bisweilen aus wie eine inquisitorische Befragung samt Folterapparatur. Der Künstler, der die gesamte Ausstellungszeit bis 20. September von 11 bis 18 Uhr anwesend sein wird, beruhigt schnell. Es gebe ja eine Bank, auf der man in Ruhe nachdenken könne. Und freundlich erklärt Geoffroy der unsportlichen Autorin, dass auch er lieber spazieren geht: „15 Kilometer am Tag.“

Bewegung und Denken gehören zusammen, das wussten schon die alten Griechen. Bewegt lernte Michael Buhrs, Chef der Villa Stuck und Kurator der Schau, den Künstler kennen. Bei einem Tanz-Projekt während einer Biennale in Venedig sei das gewesen. Selbst da wurde es ernst: Es ging um die Globalisierung. Als 2019 Kulturreferent Anton Biebl einen Kurs zu Handlungsfeldern und ihren Begriffen initiierte, wollte Buhrs da weiterbohren. Und er wusste, dass Thierry Geoffroy, der gern als „Colonel“ signiert, der Richtige für dieses Vorhaben ist. „Er kann aktuell reagieren.“ Die Pandemie hat die fordernde und gewitzte „Ausstellung in Bewegung“ nicht gestört, nur verzögert. Vielleicht ist sie heute sogar wichtiger, damit wir lernen, nicht einzig und allein ums Virus zu kreisen.

Wunderbarerweise kommt Sars-CoV-2 einfach nicht vor in der Exposition. Dafür ein ästhetisches Spiel von Car- toon-Teppichen an den Wänden und Teppich-Gemälden auf den Böden, wo die Geräte wie befremdliche Skulpturen stehen. Die farbfrohen „Gemälde“ entstehen aus den groben Pixeln aus Katastro- phen-Aufnahmen: Feuer im Amazonasgebiet, Dürre in Afrika, schmelzendes Eis in der Arktis. Geoffroy weiß wohl, dass unsere (fotografische) Wahrnehmung den Untergang „verschönert“. Neben diesen eleganten Verfremdungseffekt setzt der Künstler gleichberechtigt die Tagesaktualität. Und baut dabei auf die gute alte Zeitung. Deren Bilder lassen sich nämlich wunderbar umgestalten zu Collagen des Jetzt. Täglich frisch entstehen diese Werke auf der Ateliergalerie.

Am berührendsten sind in dieser so besonderen Schau die Rudergeräte (für den Widerstand sorgt Isarwasser, kein Gewichtsklotz). Diese Installation käme ohne Worte aus. Der Nutzer zieht sich an das Foto eines Flüchtlings im Meer heran: immer und immer, ohne den Ertrinkenden erreichen zu können. Da ist  der  Cartoon  „Being a passive Witness makes me a Criminal“ überflüssig.

Bis 20. September,

Di.-So. 11-18 Uhr; die Ausstellungen mit Werken von Beate Passow und Margret Eicher sind bis zum 25. Oktober verlängert, die Schau mit Skulpturen Franz von Stucks bis 24. Januar 2021.

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