Warum nicht wir?

von Redaktion

Die bayerischen Lockerungen bei den Besucherzahlen stoßen auf ein geteiltes Echo

VON MARKUS THIEL

Ein Anfang ist gemacht, endlich: So klingen die meisten Reaktionen aus der Kulturszene auf die bayerischen Lockerungen bei den Publikumszahlen. Und: Man gönnt der Bayerischen Staatsoper den Pilotversuch, bei dem vorerst bis Ende September 500 statt 200 Besucher die Aufführungen verfolgen dürfen (wir berichteten). Doch es gibt auch Kritik. Und die kommt vor allem von einem Orchester, das quasi naturgemäß den Gasteig bespielt. Die dortige Geschäftsführung hat schon vor Monaten ein nachvollziehbares Hygienekonzept entwickelt, nach dem bis zu 700 Personen in der Philharmonie sitzen dürfen.

„Die Erhöhung der Besucherzahl auf 500 Personen für die Oper ist eine gute Nachricht und ein wichtiges wie richtiges Zeichen“, teilen die Münchner Philharmoniker in einer Stellungnahme mit, die von Chefdirigent Valery Gergiev, Intendant Paul Müller, Orchestervorstand Matthias Ambrosius und Management-Direktor Christian Beuke unterzeichnet ist. „Nicht nachvollziehbar ist für uns, warum dieser Pilotversuch allein auf die Oper beschränkt bleiben soll.“ Im Verhältnis zur Staatsoper verfüge die Philharmonie mit 2400 Plätzen sogar über ein höheres Raumvolumen, über ungleich mehr Foyerfläche, über eine Vielzahl von Eingängen zum Saal und über eine gleichermaßen leistungsfähige Belüftungs- und Klimatechnik. Der erforderliche Mindestabstand werde auch bei einer Kapazität von 500 Personen „nicht nur eingehalten, sondern noch immer weit übertroffen“.

Mit der schrittweisen Öffnung der Konzerte für zunächst 50, dann 100 und schließlich 200 Besucher habe man gezeigt, „dass eine strikte Einhaltung von Hygieneregeln und damit der gesundheitliche Schutz des Konzertpublikums möglich ist“. Die Philharmoniker verweisen auf die Salzburger Festspiele und die Konzerthäuser in Berlin, Köln, Dresden und Hamburg, die ebenfalls positive Erfahrungen gemacht hätten. Das städtische Orchester will nun beim Freistaat eine Ausnahmeregelung analog zur Staatsoper beantragen.

Große Frustrationen gibt es beim ersten Festival „Bayreuth Baroque“. Dieses startet an diesem Donnerstag im Markgräflichen Opernhaus mit der Premiere von Porporas Oper „Carlo il Calvo“ (siehe Interview unten). Ein international beachtetes Spektakel, Countertenor Max Emanuel Cencic agiert dort in Personalunion als künstlerischer Leiter, Regisseur und Solist. Bis zuletzt hatte man dort gehofft, mehr als 200 Karten pro Aufführung verkaufen zu können. Deshalb wurde auch für einen hohen fünfstelligen Euro-Betrag ein Hygienekonzept erstellt. Eines der schönsten Barocktheater weltweit bietet eigentlich 500 Besuchern Platz, nun drohen enorme finanzielle Ausfälle.

Den Pilotversuch an der Staatsoper nimmt der Manager des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks „als das, was er ist, nämlich als Schritt in die richtige Richtung“. Nikolaus Pont verweist darauf, dass sein Ensemble ohnehin erst Ende September den Konzertbetrieb wiederaufnimmt. Er sei guter Dinge, dass es weitere Lockerungen gebe. „Wir sind in den Startlöchern und können unsere Kontingente jederzeit aufstocken.“ Gestern startete der Corona-bedingt späte Vorverkauf für die BR-Saison. Vor dem Kartenbüro bildete sich laut Pont eine Schlange, auch über Telefon und Internet habe es eine starke Nachfrage gegeben. Wie bereits in der abgelaufenen Saison spielt das Orchester bis Ende des Jahres an zwei Tagen jeweils zwei Kurz-Konzerte vor reduziertem Auditorium.

Die Bevorzugung der Staatsoper hat bei den Schwesterhäusern in Augsburg und Nürnberg sowie am Gärtnerplatz kaum für Aufregung gesorgt. „Wer, wenn nicht die Staatsoper mit ihren 2100 Plätzen sollte diesen Pilotversuch unternehmen?“, sagt Josef E. Köpplinger, Intendant des Gärtnerplatztheaters. Er hoffe, dass der Test aufgehe. „Theater ist im Übrigen ein sichererer Ort in Corona-Zeiten als viele andere, allein wenn man an unser Publikum denkt.“

Es sei klar und „eine absolut richtige Entscheidung“, dass München ausgewählt wurde, weil dort die Spielzeit früher als an anderen bayerischen Häusern startet, meint der Augsburger Intendant André Bücker. „Je mehr positive Entwicklungen, desto besser.“ Derzeit kann Bücker im Ausweichquartier seines Staatstheaters im Martini-Park vor nur 160 Besuchern spielen, dies sei „natürlich katastrophal“.

Am Staatstheater Nürnberg mit seinen 1000 Plätzen gebe es eine andere Ausgangssituation als an der Bayerischen Staatsoper mit 2100, betont Chefdramaturg Georg Holzer. Zudem starte der Opernspielplan erst in vier Wochen, bis dahin könnten sich weitere positive Entwicklungen ergeben. Auch deshalb, so Holzer, halte man einen Münchner Pilotversuch für richtig. Dieser sei letztlich gut für alle anderen Theater. Im Großen Haus haben die Nürnberger ganze Reihen ausgebaut. Derzeit wären, sollte der Freistaat noch mehr lockern, maximal 306 Besucher möglich.

Bei einem Gespräch in der Bayerischen Staatskanzlei konnten die Intendanten und Orchestermanager vor einigen Wochen ihre Klagen und Bedenken vorbringen. Ministerpräsident Markus Söder (CSU), im Vergleich zu anderen Länderchefs der größte Bremser in Sachen Kulturszene, hat sich das alles angehört, Verständnis signalisiert und eine Prüfung angekündigt. Vor allem die Salzburger Festspiele hatte man seitens der Entscheidungsträger offenbar ins Visier genommen – die hatten bekanntlich mit ihrer Strategie, die bis zu 1000 Personen zuließ, großen Erfolg. Man habe, so ist von Teilnehmern des Spitzengesprächs zu erfahren, das Gefühl mitgenommen, dass die Situation der Theater, Opernhäuser und Orchester von Söder wahrgenommen, ja dass ihr sogar Wohlwollen entgegengebracht werde. Nun allerdings müssten dieser positiven Stimmung auch Taten folgen.

Philharmoniker

beantragen Ausnahmeregelung

Theaterchefs

gönnen Staatsoper

den Pilotversuch

Artikel 1 von 11