Zuallererst: Er ist ein richtig guter Maler. Michael Armitage (Jahrgang 1984) sticht daher aus der Gruppe der etwa gleichaltrigen Künstlerinnen und Künstler heraus, die sich einer eher gegenständlichen Malerei mit kräftig surrealem „Touch“ widmen. Selbst wer mit Verrätselungen, kulturellen Anspielungen und optischem Hakenschlagen nichts anfangen kann, wird von Armitages wundersam vielschichtiger Nuancierungskunst begeistert sein. Und da er Ölfarbe lasierend aufträgt, erliegen auch Aquarell-Fans dem Farb-Charme. Darin rückt Armitage fast auf das Niveau von Maria Lassnig (1919-2014).
Das Münchner Haus der Kunst widmet dem britisch-kenianischen Maler jetzt die erste deutsche Museumsschau und zugleich die größte bisher. Kuratorin Anna Schneider hat die Werke gegliedert in: Tierdarstellungen, Landschaften, Figuren und, wenn man so will, Historienbilder zum Wahlkampf 2017 in Kenia sowie in die Kapitel „Inspiration und Studien“ und den ergänzenden Überblick „Ostafrikanische figurative Malerei 1970 bis 1990“. Der Rundgang beginnt im Treppenhaus, wo Affen sich auf den ersten Blick artgerecht gebärden. Auf den zweiten erkennt man, dass sich zum Beispiel das eine Viecherl lasziv rekelt wie eine Aktfigur oder dass der „Leoparden-Print-Verführer“ Bikini trägt.
Das Ineinanderschieben von Tier, Mensch, Landschaft und Pflanze setzt sich in fast allen Ausstellungssälen fort. Armitage nutzt dafür nicht nur die Metamorphose der Gestalten, sondern auch Überblendungen. Je nach Nähe oder Ferne zum Bild ist immer wieder anderes zu erkennen. Ist das ein Strauß? Wo ist das Krokodil? Wird da jemand ermordet? Schweben in dem Kopf Gesichter? Dieses Prinzip wird in dem Gemälde „The Paradise Edict“ (siehe oben), das der Exposition den Titel gibt, ausgiebig variiert. Manchmal vermutet man, dass der Künstler eine Geschichte erzählt, deren Fragmente im Bild herumschwirren. Immer wieder erlebbar ist, dass er Themen und Mythen aus ostafrikanischen und europäischen Regionen antippt. Auch sie werden – und sind im Grunde – so verwoben, dass niemand fremdeln muss, sondern jeder Person klar wird: Das sind Menschheitserzählungen.
Dabei ist Michael Armitage weder zeigefingernd noch moralisierend. Deswegen gelingt es ihm mühelos, die politische Ebene mit einzubeziehen: der Nackte am Boden, den Laokoon-gleich eine Schlange-Schlinge fesselt, wird von Soldaten umstanden; die alte Frau, der das Blut aus dem Körper läuft, träumt in „Hoffnung“ von einer Waschmaschine. Kein Wunder, dass der Maler aus seinen Beobachtungen der Unruhen beim kenianischen Wahlkampf 2017 allgemeingültige Historiengemälde entwickelt, die keine Propaganda, keine Dokumentation, keine Memorabilien sind. Diese Werke flammen auf – stets kontrolliert – in rasende Energie: der Menschen in Wut, Verzweiflung und Not. Dass die Bilder Narben, ja Löcher tragen, wundert einen da schon nicht mehr. Realer Grund: Armitage nutzt Lubugo, einer Art Tuch aus Natalfeigen-Rinde als Bildgrund; daher die Nähte. Die ugandischen Baganda verwendeten das Material traditionell für Rituale bei Herrschern, Heilern und dem Tod.
Bis 14. Februar 2021,
Mo., Mi., So. 10-18 Uhr, Do. 10-22 Uhr, erster Do. im Monat bis 24 Uhr; Fr., Sa. 10-22 Uhr, Di. geschlossen.