Und sie bewegt sich doch.
Was in den vergangenen Wochen im Münchner Nachtclub 089 Bar möglich war – warum sollte es nicht auch weiterhin möglich sein? Da sind diese Frauen und Männer – Schriftstellerinnen, Künstler, Musiker – mit ihrem ungeheuren Drang, sich kreativ auszudrücken; doch was in München fehlt, ist ein Raum, in dem sie das können. Ein Armutszeugnis für eine Stadt, die einst Hotspot der weltweiten Graffiti-Szene war. 1985 wurde hier der erste Wholetrain bemalt – ein großflächig mit Graffiti besprühter Zug; eine rollende Leinwand. Damals völlig neu. „Und heute? Kommt München eher verschlafen daher. Es gibt noch die Tumblingerstraße, an der legal gesprüht werden darf. Aber sonst? München ist eigentlich ein bisschen zu groß, um so wenig Angebote für Skater, Sprüher, junge Künstler und Musiker zu bieten. Es fehlt ein kommerzfreier Raum, an dem sie wirken können“, betont Gerald Jegal.
Er ist einer aus der Szene. Und ein Spezl von jemandem, der die Situation für sie alle verändern möchte. Der nennt sich Fillian Guas und hat einen Traum. Andy Warhols Factory mitten in München. „Das ist meine Utopie“, sagt er. Und obwohl er dabei lächelt, ist klar, dass das kein Scherz sein soll. Die Factory als ein Ort, an dem sich Kreative austauschen, künstlerisch austoben können; an dem es keine Denkverbote gibt. Warum soll das nur in New York möglich sein? „Ich möchte einen Ort schaffen, der vielleicht auch ein bisschen drüber ist. Wo auch verrückte Sachen passieren. Vom Bauchgefühl her hätte ich gesagt, in einem kommerziellen Laden wie der 089 Bar funktioniert das nicht. Aber dann habe ich diese coolen Typen kennengelernt“, sagt er und deutet auf Maximilian Braunmiller. Der betreibt mit dem anderen „coolen Typen“, Christian Haidinger, unter anderem die 089. Weil der Club Corona-bedingt geschlossen ist, boten die beiden Fillian Guas die Möglichkeit, seine Utopie zu leben. In dem Raum, in dem sonst geflirtet, getrunken, getanzt wird, in bester Lage am Maximiliansplatz, darf das von Guas ins Leben gerufene Kollektiv Broke.Today tun, was immer es mag. Und das ist wörtlich gemeint. Ernsthaft? Ungläubiger Blick zu Braunmiller, der an dem Podest lehnt, das da steht, wo einst die Bar war. Die Künstler haben sie mit Holz verkleidet, Sessel darauf gestellt – nun sitzen hier tagsüber freie Autoren und schreiben ihre Texte. „Ich habe den Jungs gesagt: Hängt alles ab, was wir schützen möchten, und dann macht, was ihr wollt“, bestätigt 089-Bar-Chef Braunmiller. Er hat früher selbst gemalt und seine Kunst ausgestellt. „Deshalb freue ich mich so, ihnen diese Plattform zu geben. Wenn wir helfen können, tun wir das gerne.“ Wenn er in andere Clubs gehe, mache ihn die Leere traurig. Doch in der 089? Da läuft das Leben weiter. „Mein Herz geht auf, wenn ich das sehe.“
Tatsächlich fühlt sich das lebensbejahend schön an, so ein Besuch im sogenannten Broke.Today 089 Bar Open Studio. In allen Ecken sitzen Künstler, die Musik machen, malen, schreiben. Wegen der Hygienerichtlinien nie mehr als zehn zur selben Zeit. Zwei Drittel der Künstler sind Männer. Weitere Frauen (und Männer) willkommen.
Und ein neuer Raum wird dringend benötigt. Denn an diesem Wochenende steht nach über zwei Monaten der Auszug an. Die 089 wird umgebaut. „Natürlich können wir nicht für immer hier bleiben“, sagt Guas. Bis 1. November dürfen sie im Kaufinger Tor auf 360 Quadratmetern werkeln, danach suchen sie einen neuen Ort. „So günstig wie möglich.“ Ein Atelier anzumieten, sei finanziell „komplett außer Reichweite“.
An diesem Wochenende veranstalten sie eine Finissage im kleinen Kreis. Live dabei sein kann man online: Die Werke und alle Neuigkeiten rund ums Kollektiv sowie Infos zu den Künstlern gibt es auf der Instagram-Seite @broke. today. Vielleicht ist ja jemand unter den virtuellen Gästen, der unterstützen möchte, was Guas will – „das unbedingt weiterführen. Schluss mit Konkurrenz. Ich wünsche mir, dass wir uns im Kollektiv gegenseitig alles beibringen, was man braucht im Leben. Dass man einander unterstützt. So kommt durch das Netzwerk zustande, was sonst nie passieren würde.“
Und es bewegt sich weiter.