Die Freigeistige

von Redaktion

INTERVIEW Kristen Stewart über ihre Rolle als Kino-Ikone in „Jean Seberg“

Als Hauptdarstellerin der „Twilight“-Saga wurde Kristen Stewart weltweit zum Teenie-Idol. Seitdem hat sie immer wieder mit anspruchsvollen Charakterrollen ihr Talent bewiesen, etwa in Jake Scotts „Willkommen bei den Rileys“, Woody Allens „Café Society“ oder Olivier Assayas’ „Die Wolken von Sils Maria“, wofür sie als erste US-Schauspielerin den César bekam. Morgen ist die 30-Jährige in der Titelrolle des Kinodramas „Jean Seberg – Against all Enemies“ zu sehen. Zum Interview beim Zurich Film Festival begrüßt sie uns in einem blau-grau karierten Holzfällerhemd und mit flottem Kurzhaarschnitt; beim Sprechen gestikuliert sie lebhaft mit beiden Händen und spart nicht mit Kraftausdrücken.

Was wussten Sie vor den Dreharbeiten über Jean Seberg, die Kino-Ikone der Sechzigerjahre?

Ich kannte Jean Seberg nur als Schauspielerin aus dem Kultfilm „Außer Atem“ mit Jean-Paul Belmondo. Erst durch das Drehbuch habe ich von ihrem Engagement in der US-Bürgerrechtsbewegung erfahren, von ihrem Kampf gegen Rassismus und Unterdrückung. Ich war schockiert, als ich las, dass sie wegen ihrer politischen Aktivitäten vom FBI verfolgt und vernichtet wurde. Ich dachte: Wieso kennt kaum jemand diese Geschichte? Höchste Zeit, sie im Kino zu erzählen – wir sollten Jean Seberg definitiv nicht bloß mit ihrem Bubikopf assoziieren!

Glauben Sie, dass sie vom US-Geheimdienst ermordet wurde?

Ich denke, letztlich spielt es keine Rolle, ob man sie tatsächlich umgebracht oder in den Selbstmord getrieben hat. Tatsache ist: Sie wurde systematisch fertiggemacht – mit gezielten Verleumdungen und einer üblen Schmutzkampagne. Die damaligen Machthaber empfanden eine freigeistige Frau wie sie als ernsthafte Bedrohung. Deshalb wollte man sie unbedingt loswerden.

Können Sie sich mit ihr identifizieren?

Ja. Ich wünschte, ich hätte sie noch vor ihrem Tod kennengelernt und ihr helfen können. Die Unterstützung durch Gleichgesinnte hätte sie dringend nötig gehabt. Bedenken Sie: Jean stammte aus der tiefsten amerikanischen Provinz, wo man damals als Weiße schon verachtet wurde, wenn man nur schwarze Musik hörte. Wenn sie Zugang zu Social Media gehabt hätte, dann hätte sie etwa auf Instagram fragen können: „Stimmt etwas nicht mit mir, weil ich so denke?“ Und dann hätten ihr unzählige Leute geantwortet: „Nein, Schwester, wir denken genauso!“

Glauben Sie, dass bestimmte Revoluzzer auch heute noch ähnlich wie Jean Seberg von der Regierung ruiniert werden können?

Ich hege die Hoffnung, dass das heutzutage nicht mehr so einfach wäre. Eine riesige Menge von Leuten kritisiert beispielsweise Donald Trump ganz explizit. Wir sind inzwischen einfach zu viele – die Regierung hätte wirklich alle Hände voll zu tun, wenn sie uns alle auf eine schwarze Liste setzen wollte. Aber was weiß ich schon? Einen Dreck weiß ich!

Meinen Sie, dass Filmstars sich politisch engagieren sollten?

Ich denke, für einen Künstler ist es gar nicht möglich, unpolitisch zu bleiben. Denn deine Geisteshaltung wird stets reflektiert: durch deine Arbeit und deine Aussagen in Interviews, durch die Wahl deiner Projekte und deiner kreativen Komplizen… Ich bin nicht der Typ, der sich auf eine Obstkiste stellt und seine Ansichten laut in die Welt hinausschreit. Aber ich glaube, mein Standpunkt ist verdammt offensichtlich – für alle, die mich kennen, wäre es wohl ein ziemlicher Schock, wenn sie erführen, dass ich heimlich Trump unterstütze und seine Wiederwahl herbeisehne. (Lacht.)

Wie wählen Sie denn Ihre Projekte aus? Suchen Sie mittlerweile gezielt nach vielschichtigen Rollen?

Ich finde es interessant, dass man von Darstellerinnen heute fast schon erwartet, nur noch sogenannte starke Frauen zu verkörpern. Das halte ich für ziemlich verlogen. Die Wahrheit sieht doch so aus: Auch Frauen wissen manchmal nicht weiter. Auch Frauen bauen manchmal Mist. Auch Frauen können sich manchmal gegenseitig nicht ausstehen. Und wir haben das verfluchte Recht, all das auf der Leinwand zu zeigen. Insofern ist es in meinen Augen oft mutiger, „schwache“ Frauen zu spielen.

Früher konnte man oft schon froh sein, wenn Frauen in Filmen nicht bloß schmückendes Beiwerk waren…

Stimmt. Wir Frauen haben uns gerade erst von unserem Schattendasein in Hollywood befreit und begonnen, unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Endlich können wir komplexe Charaktere formen, die auch mal verzweifelt, versaut, fies oder fix und fertig sein dürfen, wenn es nötig ist. Das nenne ich wahre Emanzipation im Kino!

Wie sehen Ihre beruflichen Träume aus?

Nachdem ich schon ein paar Kurzfilme als Regisseurin gedreht habe, möchte ich nun so bald wie möglich mein Langfilm-Regiedebüt in Angriff nehmen. Außerdem würde ich gern weiter als Schauspielerin arbeiten – am liebsten so lange, bis ich tot umfalle. Ich wüsste gar nicht, was ich ohne diesen Job täte. Es ist ja eine ziemlich haarige Sache, weil man diesen Beruf nicht allein im stillen Kämmerlein ausüben kann, sondern darauf angewiesen ist, dass man angeheuert wird. In dieser Hinsicht hatte ich wirklich Schwein gehabt: Es gab stets interessante Leute, die mit mir arbeiten wollten und mir inspirierende Projekte angeboten haben. In meinem ganzen verdammten Leben habe ich mich noch nie gelangweilt. Und ich habe auch nicht vor, das jemals zu tun!

Das Gespräch führte Marco Schmidt.

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