Ja, das sind diese Überraschungen, die unsereins seinen Leserinnen und Lesern eigentlich gar nicht verraten dürfte. Dann sollten in diesem Artikel auch keine Fotografien stehen. Aber hier einfach nur zu schreiben: Gehen Sie in die Pinakothek der Moderne! Das wäre doch seltsam – und würde das Journalistinnenherz schon arg schmerzen.
Also, wer die Foyer-Rotunde der Münchner PDM betritt, wird sein schwarzes Wunder erleben. Ein mächtiger PVC-Bauch eines riesigen Dings, das man in Gänze gar nicht erfassen kann, hängt tief herunter in den Eingangsbereich, fast bis auf die Köpfe der Menschen. Es ist dominant, überwältigend, raumverdrängend – und verwandelt die Architektur der Rotunde komplett. Es drückt sie beiseite, aus unserer Wahrnehmung, fast aus unserer Erinnerung und verpasst uns Betrachterinnen und Betrachtern ein ungutes Gefühl. Plötzlich will man hier weg, schnell eine Treppe hinauf, nur rasch in irgendeinen Ausstellungsraum flüchten; Olaf Metzels bunter, wallender Säulenmantel wird da zur Augen-Zuflucht.
Anish Kapoor (Foto: Jillian Edelstein), der Großmeister der gern ausladenden, auf alle Fälle eigenartigen Formen und Anti-Formen, konnte von der Sammlung Moderne Kunst in der PDM, also von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, für einen fast einjährigen Auftritt gewonnen werden. Die vier Museen der dritten Pinakothek, die gestern vor 18 Jahren eröffnet wurde, wollen im Wechsel die Rotunde bespielen. Den Auftakt machte Design mit Ingo Maurers „Pendulum“; jetzt folgt die Kunst provokant mit einem finsteren Fremd-Körper. Ganz bewusst hat ihn der Bildhauer, 1954 in Mumbai geboren und seit den Siebzigern in England lebend, „Howl“ genannt. Und damit sei durchaus ein wildes Heulen gemeint, betont er im gestreamten Interview (www. pinakothek.de) mit Oliver Kase, Chef der Sammlung Moderne Kunst. Er hatte es vor zwei Jahren – auch mit Hilfe von Kapoors Münchner Galerie Klüser – fertig gebracht, den international begehrten Künstler für ein Rotunden-Projekt zu gewinnen. Sars-CoV-2 hat weder den Künstler und sein Studio in London noch Kase und sein extrem gefordertes Techniker-Team in München ausgebremst.
Genauso sollte man sich als perplexes bis eingeschüchtertes Pinakotheken-Publikum nicht ausbremsen lassen. Kunst ist schließlich Abenteuer – ungefährlich, aber umso bereichernder. In der Tat lohnt es sich, das neue Monster zu beäugen – aus der Entfernung: Schon fühlt man sich körperlich wohler. Und wenn man erst in den oberen Stock und schließlich unter die sonnenstrahlende Kuppel-„Rosette“ der Rotunde gestiegen ist, kann man dem bauchigen Ding, diesem gefesselten Ballon, sehr vieles abgewinnen. Elf Monate kann man sich mit diesem 14 Meter hohen und im Durchmesser 22 Meter breiten „Howl“ auseinandersetzen. Das Werk macht klar, dass sich alles in unserem Umfeld ändern kann, obwohl keine Wand, kein Pfeiler, nicht einmal ein Betonkrümelchen von der Stelle bewegt wurde.
Natürlich sei das auch politisch zu verstehen, sagt Anish Kapoor im Gespräch. Im Kern beschäftigt ihn jedoch die bildhauerische Grundfrage Form/negative Form, die für ihn mit der existenziellen Frage von Existenz und Nicht-Existenz zusammenhänge. Genauso intensiv habe ihn die Farbe des Objekts beschäftigt, das anfangs deutlich rot sein sollte. Jetzt erkennt man nur bei starkem Licht, dass es dunkelbraun ist. Kapoor sieht darin die Farbe der Erde, des Bluts. Und bestätigt, von einer Stream-Partnerin angesprochen, dass damit auch Menstruationsblut gemeint sei: Kultur sei weiblich, postuliert er mit Verweis auf Göttinnen in vielen Mythen. Durch ihren Bezug zum Blut hätten sie Macht über Leben und Tod.
Pinakothek der Moderne,
Di.-So. 10-18, Do. 10-20 Uhr; Foyer frei zugänglich.