Au revoir, Madame!

von Redaktion

Trauer um Juliette Gréco, die stets mehr war als eine Chansonnière

VON ZORAN GOJIC

Als Juliette Gréco 2015 eine Abschiedstournee antrat, fragte man sie, was sie nach der Konzertreihe vorhabe. „Danach sterbe ich“, lautete die Antwort, begleitet von einem Lachen. Ihr Trick, dem Tod zu entgehen: einfach immer mal wieder ein Konzert geben. Aber der Tod, dieser humorlose Fremde, dem wir alle einmal begegnen werden, ließ sich dieses Mal nicht schon wieder hereinlegen. Gestern Abend bestätigte ihre Familie, dass Juliette Gréco im Alter von 93 Jahren gestorben ist.

Der Tod hat sie ohnehin schon großzügig übersehen, damals im Zweiten Weltkrieg, als die Jugendliche von der Gestapo verhaftet wurde. Die Mutter, aktive Widerstandskämpferin gegen die deutschen Besatzer, kommt sogar ins KZ – doch überlebt.

Gréco, 1927 im südfranzösischen Montpellier geboren, lungert nach Kriegsende im Pariser Viertel Saint-Germain-des-Près herum, mangels anderer Lebensentwürfe. Sie singt gern, aber es kommt ihr nicht in den Sinn, diese Leidenschaft zum Beruf zu machen. Sie trifft bald Leute wie Serge Gainsbourg, Boris Vian, Albert Camus und Jean-Paul Sartre. Man ist stramm links und lebenshungrig, es wird gefeiert und wild debattiert. Für Gréco, damals eingestandermaßen eher ignorant, ist dieser Alltag eine Art private Universität. Sartre ermutigt sie, Sängerin zu werden, und schreibt Texte für sie. Ebenso wie Camus und andere führende Intellektuelle der Zeit.

Gréco wird schnell zur Heldin des politischen Chanson – und zur Stilikone. Auch wenn ihre Lieder Hits werden, ist sie vor allem ein Gesamtkunstwerk. Ganz in Schwarz, immer ein wenig streng und undurchschaubar ist sie der Inbegriff der unbekannten, mysteriösen dunklen Schönheit. Alleine mit ihrem Aussehen übt sie immensen Einfluss aus – bald läuft jener weibliche Teil der Jugend, der etwas auf sich hält, herum wie die Gréco: schwarze Hose, schwarzer Pulli, flache Schuhe. Was heute eine Armee von PR-Strategen aushecken würde, entspringt damals einfach dem Wunsch der Sängerin, sich so zu kleiden wie Existenzialisten.

Sie hat keine Ahnung, welche Auswirkungen das hat. Junge Künstler wie Bob Dylan oder John Lennon, die mutmaßlich kein einziges Lied von Gréco kennen, sind begeistert von der Französin. Die wird schnell eine Art wandelndes Comeback. Denn nach ersten Erfolgen muss sie in den Fünfzigerjahren in halbleeren Hallen auftreten und wird von der Kritik abgeschrieben. Aber sie überdauert, kommt immer wieder zurück, gibt nie auf. Sie ist nicht die weltgrößte Sängerin aller Zeiten und nie so populär wie andere Chanson-Stars, aber sie ist eben die Gréco, eine Marke. Sie spielt in einer eigenen Liga. Und sie hat etwas, was im Zweifel dann doch mehr wiegt als Technik und Stimmumfang: Seele. Sie tritt in Filmen auf, auf Theaterbühnen, wird das Sexsymbol des denkenden Mannes – und Vorbild der emanzipierten Frau.

Ihr Privatleben folgt der Tradition des gepflegten französischen Chaos. Gescheiterte Ehen, Experimente mit Frauen, Affären und viel Mysterium. Ihre Strahlkraft steigt daduch natürlich eher. Und damit die Bedeutung. Im Nachkriegsdeutschland treten viele Interpreten aus Frankreich auf, aber als Gréco 1959 unter Tränen ihr erstes Konzert in Deutschland gibt, ist das sofort eine Nachricht: Sie vergesse nicht und sie verzeihe nicht, sagt die Gréco, aber, an die Jungen gewandt: „Ihr könnt nichts dafür.“

Bis heute hat sie wohl nirgends ein treueres Publikum als in Deutschland, und das wusste sie auch sehr zu schätzen. In ihrer Heimat ist sie immer auf der Suche nach jungen, wilden Talenten, die ihr Lieder schreiben. Auf diese Weise wird sie zu einer der wichtigsten Fördererinnen des Nachwuchses.

Als sie im Jahr 2001 einen Herzinfarkt erleidet, tritt sie eine Zeit lang kürzer. Nicht für lange. Bald steht sie wieder auf der Bühne, irgendwie alterslos, Symbol einer Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung, und begeistert immer neue Generationen. Bis zuletzt der Philosophie des Existenzialismus verpflichtet, geht sie „versöhnt mit dem Leben“ ihren Weg und verkündet: „Jeder Augenblick ist der beste Augenblick meines Lebens.“ Nun ist Gréco gestorben. Eine Epoche ist zu Ende.

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